Dr. Wolfgang Springer, international hoch geachteter Allgemeinarzt und Homöopath, äußert sich im Gespräch mit dem Newsletter Ärztliche Homöopathie zu den Möglichkeiten und Grenzen einer homöopathischen Behandlung von Patienten, die mit dem SARS-CoV-2-Virus („Corona-Virus“) infiziert und an „Covid-19“ erkrankt sind.

Ärztliche Homöopathie: Seit Ausbruch der ‚Corona-Pandemie‘ verwirrt die Homöopathie in Deutschland mit widersprüchlichen Aussagen und Empfehlungen. Während sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte, kurz: „DZVhÄ“, klar für eine Befolgung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ausgesprochen hat, bestehen zahlreiche Kollegen von Ihnen, Herr Dr. Springer, darauf, dass die Homöopathie über Mittel verfüge für zumindest eine verbesserte Vorbeugung gegen eine Infektion; etliche Ihrer Kollegen sagen sogar: für eine Behandlung und Heilung von „Covid19“. – Was stimmt denn nun? Was kann die Homöopathie tatsächlich beitragen zur Eindämmung der Corona-Pandemie?

Dr. Wolfgang Springer: Also, zunächst würde ich betonen wollen, dass es sachlich und fachlich ohne jede Einschränkung richtig ist, wofür sich der Vorstand des DZVhÄ ausgesprochen hat: Nämlich, in dieser sehr besonderen und neuen Situation, den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu folgen. Diese Empfehlung ist die einzig Vernünftige. Dieser Empfehlung müssen wir folgen. Und ihr werden wir auch folgen.

Zu Ihrer konkreten Frage: Ich konzentriere mich mal auf die Frage der Therapie, weil es, so lange wir keine Impfung haben, auch keine wirksame Vorsorge geben kann.

Bezüglich einer möglichen Therapie gilt es zunächst drei Gruppen an Betroffenen zu unterscheiden: Die erste Gruppe wäre die der leicht Erkrankten: Etwas Kopfschmerzen, Schwindel, erhöhte Temperatur, trockener Husten. Kurzum jene Patienten, die – Gott sei Dank und höchstwahrscheinlich – binnen kurzer Zeit selbst genesen. Für diese Gruppe eine passende homöopathische Arznei zu finden, ist schon deshalb schwierig, weil die individuelle Symptomatik nicht hinreichend ausgeprägt ist. Es ist eigentlich auch nicht notwendig. Denn bei Patienten dieser Gruppe zeichnet sich meist schon in einem frühen Stadium eine Spontanheilung ab.

Die andere Gruppe sind Patienten mit einem foudroyanten, hoch akuten Krankheitsverlauf, der Notwendigkeit einer stationären, gar intensivstationären Behandlung und, gegebenenfalls, dem Bedarf künstlicher Beatmung. Diese Patienten können wir als homöopathische Ärzte nicht behandeln. Unsere Möglichkeiten, hier ein Mittel zu finden, sind auch wegen der äußeren Umstände – sie befinden sich in stationärer Behandlung – zu weit eingeschränkt. Hier sollten wir uns zurückhalten.

Neben den beiden genannten Gruppen gibt es aber eine dritte Gruppe an Covid-19-Patienten. Und diese ist, so meine ich, diejenige, zu deren erfolgreicher Behandlung wir als homöopathische Ärzte durchaus etwas beitragen können.

Die Symptomatik dieser Patienten ist erheblich, mitunter schwer, aber nicht lebensbedrohlich. Sie leiden unter Kopf- und Gliederschmerzen, Schwindel, Fieber, haben den viel zitierten, „trockenen Husten“, schwitzen und fühlen sich meist sehr schwach. Aber sie haben noch keine klinischen Symptome einer Pneumonie entwickelt.

Diesen Patienten – und das sind ja keineswegs wenige – kann die ärztliche Homöopathie, davon bin ich fest überzeugt, kurativ, also heilend, helfen. Vorausgesetzt natürlich, dass eine sehr genaue, individuelle, homöopathische Anamnese durchgeführt, der Patient eng begleitet, der Krankheitsverlauf genau beobachtet und das verabreichte Mittel gegebenenfalls angepasst wird. Indem bei diesen Patienten, dank homöopathischer Behandlung ein akuter Zustand und eine stationäre Einweisung verhindert wird, könnte die Homöopathie einen nicht unerheblichen Beitrag leisten zur Bewältigung dieser größten gesundheitlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen seit einhundert Jahren.

Das klingt sehr sicher…

Die Erfahrung der Homöopathie insbesondere mit viralen Erkrankungen und mit akuten, auch hoch akuten viralen Krankheitsverläufen ist groß und reicht weit zurück. Kein länger tätiger, homöopathischer Arzt, der nicht mit dieser Symptomatik regelmäßig konfrontiert worden wäre und gute bis sehr gute Erfahrungen bei der Behandlung mit homöopathischen Mitteln gemacht hätte. Hinzu kommt die historisch verbürgte Leistung homöopathischer Behandlungen bei diversen Epidemien, die alle gut dokumentiert sind und eine hohe Evidenz zeigen.

Ihre schulmedizinisch orientierten Kollegen scheint das nicht zu überzeugen. Sie stellen in Frage, dass die Homöopathie über Mittel zur Behandlung dieser Infektion verfüge, der sie selbst noch weitgehend ratlos und, im Wortsinn, mittellos gegenüberstehen. Können Sie etwas genauer erläutern, an welche homöopathische Mittel und Behandlungsmethoden Sie denken?

Zunächst: Auch bei der Behandlung von Covid-19-Patienten gilt, was für ausnahmslos jede homöopathische Behandlung gilt. Es ist eine individuelle Behandlung; es gilt ein individuelles Mittel für einen einzelnen Patienten mit einzigartigem Krankheitsverlauf zu finden. Voraussetzung ist folglich eine lege artis durchgeführte, sehr detaillierte homöopathische Anamnese.

Dass ein Schulmediziner sich eine erfolgreiche, homöopathische Behandlung von Covid-19-Patienten nicht vorstellen kann, ist im Übrigen wenig überraschend. Denn er kann sich ja grundsätzlich nicht vorstellen, dass potenzierte Arzneien eine Wirkung entfalten können. Diesen Irrtum ausgerechnet angesichts einer erfolgreichen homöopathischen Behandlung von Covid-19-Patienten zugeben zu müssen, wird man kaum von einem Schulmediziner erwarten dürfen.

Etliche Ihrer homöopathischen Kollegen verweisen angesichts der Corona-Pandemie auf Erfahrungen der Homöopathie mit der Behandlung von Patienten, die, 1918, an der „Spanischen Grippe“ erkrankt waren. Können Sie diesen Vergleich nachvollziehen und, falls ja, worin besteht und wie weit reicht diese Vergleichbarkeit zwischen einer „Covid-19-Infektion“ und „Spanischer Grippe“?

Also, da wird es nun richtig schwierig. Ich versuche mal eine Mischung aus Deutlichkeit und Zurückhaltung. Richtig ist, dass die Bedeutung, die die Homöopathie im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangt hat, zweifelsohne auf ihre Erfolge bei der Bekämpfung von Epidemien, insbesondere in den Vereinigten Staaten, zurückzuführen ist. Zum Beispiel bei Cholera, Gelbfieber und Scharlach, oder, später dann und in Indien, Enzephalitis. Das alles ist in der medizinischen Literatur sehr gut dokumentiert.

Bei der „spanischen Grippe“ hingegen muss man, meines Erachtens, vorsichtig sein: Es war eine Pandemie in Kriegszeiten. Politiker und Militärs hatten deutlich mehr Interesse an Geheimhaltung als an klinischer Dokumentation. Was zur Folge hat, dass wir über diese Pandemie und ihre erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Bekämpfung weit weniger wissen, als über die zuvor Genannten. Was wir allerdings wissen ist, dass unter den dokumentierten Fällen die Letalität, also die Sterblichkeitsrate bei den homöopathisch behandelten Fällen erheblich niedriger lag, als bei den konventionell, also schulmedizinisch behandelten Fällen.

Die Erfolge der Homöopathie bei der Bekämpfung der genannten Epidemien wird oft darauf zurückgeführt, dass es gelungen sei, einen sogenannten „Genius Epidemicus“ zu finden – ein einzelnes Mittel, das bei der überwiegenden Mehrheit der Fälle wirksam gewesen sei. Kritische Homöopathen halten das für einen Mythos und warnen davor…

Womit sie nicht Unrecht haben. Ich halte das für eine sehr riskante These und bin persönlich überaus skeptisch bezüglich der angeblichen Möglichkeit, wenige oder sogar nur ein einziges Mittel zu finden, mit dem sich ein Großteil von Erkrankten bei einer Epidemie erfolgreich behandeln ließe. Umso weniger in unserer heutigen Zeit.

Auch glaube ich nicht daran, dass sich ein Mittel, das erfolgreich gegen die „spanische Grippe“ angewandt wurde, ohne Weiteres auf die Corona-Pandemie übertragen ließe. Dafür unterscheiden sich zu viele Faktoren zu wesentlich: Ernährung. Hygiene. Soziale Standards. Außer Aspirin und den bekannten Naturheilmitteln gab es keine fiebersenkende Medizin, auch keine Impfungen und Antibiotika. Schon gar keine Intensivmedizin. Hinzu kommt bei der Betrachtung heutiger Patienten ein Ausmaß an individualisierten Lebensformen, dass allein schon deshalb die Suche nach einem Genius Epidemicus einen Widerspruch darstellen würde zu dem womöglich elementarsten aller Wesensmerkmal unserer Epoche: Eben dem der Individualisierung. Es hieße ja, dass man ein Heilmittel finden wollte für eine ganze Gesellschaft, die nicht zu Unrecht von sich sagt, sie bestehe aus lauter Einzigartigen.

Und trotzdem gibt es solche Bestrebungen und Empfehlungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie von Kollegen in einer Vielzahl von Ländern: China, Indien, Thailand, Singapore, Brasilien, USA, Kanada, Großbritannien, Italien, Deutschland, Österreich, Schweiz …  

Richtig! Aber, spätestens wenn Sie sich die lange Liste der von diesen Kollegen vorgeschlagenen, ungefähr vierzig unterschiedlichen Mittel vor Augen führen, können Sie zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen als der, dass die Idee eines Genius Epidemicus zur Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion Wunschdenken ist. Die Suche nach einer für jeden wirksamen, homöopathischen Arznei ist bei dieser Art viraler Pandemie höchst fragwürdig.

Wenn es, wie Sie sagen, kein Mittel geben kann, das bei der Mehrheit der Patienten wirksam wäre, wird die individualisierte, homöopathische Untersuchung jedes Einzelnen und die individuelle Entscheidung über die Behandlung ja noch wichtiger. Was wiederum bedeutet, dass der verantwortliche Arzt eine entsprechend weitreichende Expertise mitbringt. Sie selbst verfügen über eine Erfahrung als Allgemeinarzt und Homöopath von mehreren Jahrzehnten. Wie viele Kolleginnen und Kollegen gibt es denn in Deutschland, denen Sie eine solche Anamnese und Behandlung zutrauen würden?

Sie werden von mir, bitte, nicht erwarten, dass ich hierauf mit einer Zahl antworte. Was ich aber aus meiner langjährigen Kenntnis des Kreises an homöopathischen Ärzten in Deutschland und darüber hinaus sagen kann ist, dass wir auf jeden Fall über so viele gute und erfahrene Kolleginnen und Kollegen verfügen, dass die Patientenschaft, die sich für eine homöopathische Behandlung ihrer Covid-19-Erkrankung interessiert, auch mit der gebotenen, beschriebenen Sorgfalt und Expertise untersucht, behandelt und begleitet werden kann.

Diese Gruppe an Patienten wird im Übrigen täglich größer. Die Anfragen in unseren Praxen nehmen täglich weiter zu, was ja, in Anbetracht dessen, dass es nach wie vor kein konventionelles Mittel und keine Impfung gibt, nicht verwunderlich ist.

Was mir Anlass gibt, nochmals zu betonen und auch einen Appell an die Kollegenschaft dahingehend zu richten, dass sich an eine Covid-19-Behandlung wirklich nur homöopathische Ärzte mit langjähriger allgemeinmedizinischer oder internistischer Erfahrung heranwagen sollten. Alles andere wäre in hohem Maße unverantwortlich.

Sie betonen die Bedeutung einer medizinischen Erfahrung bei der homöopathischen Behandlung von Covid-19-Patienten. Bedeutet dies, dass sich Homöopathen, die aus der Heilpraktiker-Schule kommen, aber kein Medizinstudium absolviert haben und über keine ärztliche Erfahrung verfügen, bezüglich einer Covid-19-Behandlung zurückhalten sollten?

Da muss ich, auch wenn das auf begrenzte Freude stoßen wird, mit einem klaren „Ja“ antworten. Begründung: Wer sich an eine solche Untersuchung und homöopathische Behandlung heranwagt und nicht über eine entsprechende medizinische Ausbildung und klinische Erfahrung verfügt, kann nicht in der Lage sein, die komplexen Zusammenhänge, die oft unvorhersehbaren klinischen Verläufe und die daraus resultierenden oder zu ziehenden Konsequenzen jederzeit sicher zu erkennen, richtig zu behandeln und vorausblickend zu handeln.

Wenn sich nun ein an Corona infizierter Patient an Sie wendet: Wie gehen Sie als homöopathischer Arzt vor? Was sind die einzelnen Schritte, auch im Hinblick auf Erkenntnisgewinn und Ihre ärztliche Verantwortung über den Einzelpatienten hinaus?

Zunächst: Ein Patient, der positiv auf Corona getestet wurde, kommt ja nicht mehr in unsere Praxis. Die Basisversorgung findet also woanders und unter Einhaltung entsprechend hoher Schutzmaßnahmen statt. Sehr wichtig ist, neben der eingehenden, individuellen homöopathischen Anamnese, dass von Beginn an eine lückenlose Dokumentation über das Befinden und die klinischen Parameter des Patienten angelegt wird. Nur auf solcher Grundlage kann die individuelle Entscheidung über das einzusetzende Mittel getroffen werden.

Nach Beginn der Behandlung ist eine enge Beobachtung Begleitung des Patienten unbedingt erforderlich. Jede Veränderung des Befindens und der klinischen Parameter des Patienten muss zur Kenntnis genommen und medizinisch ebenso wie homöopathisch eingeschätzt werden. Im günstigen Fall ergibt sich eine Besserung innerhalb weniger Tage und anschließend eine Heilung. Im hoffentlich selteneren Fall eines zu langen Stagnierens oder gar einer Verschlechterung, muss die homöopathische Behandlung in Frage gestellt und möglicherweise abgebrochen werden und über eine stationäre Einweisung entschieden werden.

Foto: http://www.drwolfgangspringer.de/wolfgang_springer.html