Stand der Grundlagenforschung in der Homöopathie

Ein Beitrag von Dr. Stephan Baumgartner (2017)

Zum Stand der präklinischen Forschung mit potenzierten Substanzen (Grundlagenforschung) kann Folgendes festgehalten werden: Unter den mehr als 1.000 fachwissenschaftlichen Publikationen gibt es eine beträchtliche Anzahl von qualitativ hochwertigen Studien, welche eine empirische Evidenz für eine spezifische Wirksamkeit auch hochverdünnter potenzierter Arzneien beobachteten. Ebenso gibt es mehrere experimentelle Modelle, mittels welcher in unabhängiger Replikation signifikante spezifische Effekte potenzierter Präparate festgestellt wurden.

Die Homöopathie basiert auf drei Säulen: den Arzneimittelprüfungen am Gesunden, dem Simile-Prinzip und dem Potenzierungsverfahren. Die Grundlagenforschung in der Homöopathie beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Evidenz für das Simile-Prinzip und der Potenzierung als pharmazeutischem Verfahren.

Die Kritik an der Homöopathie konzentriert sich in erster Linie auf die Potenzierung, da es aus naturwissenschaftlich-pharmazeutischer Sicht verschiedene Argumente gibt, welche die Sinnhaftigkeit dieses Verfahrens in Frage stellen. Hierzu gehören unter anderem:

  • Der Gehalt an Wirkstoffen nimmt beim Potenzieren im Wesentlichen exponentiell ab. Für einfache anorganische Verbindungen (wie z. B. Calcium, Natrium, Silicium u. a. m.) können ab der Ubiquitaritätsgrenze (ppm-ppb je nach eingesetztem Material) keine tieferen Verdünnungen hergestellt werden, was in der Praxis etwa einer D6-D9 entspricht. Für Extrakte aus Pflanzen und Tieren ist davon auszugehen, dass ab einer Potenzstufe, welche in Bezug auf ihren Verdünnungsgrad der inversen Avogadrozahl entspricht (ca. D24), die Wahrscheinlichkeit rasch gegen Null geht, auch nur ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz in der potenzierten Arznei wiederzufinden. Aus diesem Grund wird eine spezifische Arzneimittelwirkung potenzierter Präparate in höheren Potenzen in Frage gestellt.
  • Bei tieferen Potenzen (bis ca. D6/D9) kann der stoffliche Gehalt von der nominell erwarteten Konzentration deutlich abweichen, dies etwa aufgrund von geringer Löslichkeit in Wasser (z. B. bei Metallen) oder aufgrund von Adsorption an Gefäßwände bzw. von Rücklösung aus denselben. Dies führt aus naturwissenschaftlich-pharmazeutischer Sicht zu undefinierten Konzentrationen in potenzierten Arzneimitteln.

Ziele der Grundlagenforschung in der Homöopathie

In der Reaktion auf das Spezifitätsargument hat sich die präklinische Forschung an potenzierten Arzneimitteln in den letzten Jahrzehnten in erster Linie mit der Frage der Existenz möglicher spezifischer Wirkungen höher potenzierter Arzneimittel in biologischen Modellen beschäftigt. Letztere Frage hat sich vor dem Hintergrund von Schwierigkeiten in der Reproduzierbarkeit erzielter Resultate (1) in den letzten 20 Jahren in die Frage der Entwicklung angepasster wissenschaftlicher Methoden weiterentwickelt: Methoden, welche dem Untersuchungsgegenstand in seinen spezifischen Eigenschaften und Wirkungen möglichst gerecht werden sollen – dies auch, um möglichst reproduzierbare Resultate zu erhalten (2). Eine weitere Fragestellung bestand in der Bestimmung des Zusammenhanges von Potenzstufe und Effekt, d. h. in der Bestimmung des Dosis-Wirkungs-Zusammenhanges. Erst wenige Studien beschäftigten sich mit der Frage pharmazeutischer Optimierung (z. B. Anzahl Schüttelschläge beim Potenzieren) oder der Frage der Stabilität potenzierter Arzneien gegenüber Umwelteinflüssen. Im Hinblick auf eine Identifizierung des pharmazeutischen Wirkprinzips wurden zudem Studien durchgeführt, um eventuell vorhandene spezifische physikochemische Eigenschaften in potenzierten Präparaten zu bestimmen.

Modelle und Methoden der homöopathischen Grundlagenforschung

Die wissenschaftliche Fachliteratur zur präklinischen Forschung an potenzierten Präparaten wird umfassend in der Datenbank HomBRex dokumentiert (3). 2013 enthielt diese Datenbank Einträge zu 1.868 experimentellen Untersuchungen in 1.383 Publikationen (3). Es lassen sich vier große präklinische Forschungsbereiche zu potenzierten Präparaten unterscheiden: (A) physikochemische Untersuchungen, (B) in vitro Assays (Zellkulturen, Mikroorganismen), (C) Bioassays mit Pflanzen und (D) Tierversuche, wobei letztere mehr als 50 % aller Untersuchungen darstellen (4).

Die Forschung zu physikochemischen Untersuchungen potenzierter Präparate wurde zuletzt 2003 in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst (5). In 44 Publikationen wurden Resultate von 36 Experimenten dargestellt. Die Messmethoden wurden in sechs Bereiche gegliedert: Elektrische Impedanz, Elektrochemie, Spektroskopie, Nukleare Magnetresonanz, Raman-Spektroskopie und Methoden unbekannten Prinzips (sog. Black-Box-Methoden). Die Hälfte der Untersuchungen wurde im Bereich Nukleare Magnetresonanz durchgeführt, in dem auch über verschiedene Studien hinweg reproduzierbare Resultate erzielt wurden. Gemäß der derzeitigen Datenlage gibt es keine empirischen Hinweise auf stabile Wassercluster in potenzierten Arzneien (6, 7), welche als Träger einer möglichen Arzneimittelinformation hypothetisch gefordert wurden (8). In mehreren unabhängigen Untersuchungen mittels NMR-Relaxationszeitmessungen (T1/T2) ergaben sich jedoch deutliche und konsistente Unterschiede zwischen potenzierten Silicea-Präparaten und entsprechend verschüttelten Kontrollen, welche als Modifikation der Wassermoleküldynamik interpretiert wurden (9). Auch mittels UV-Spektroskopie wurden konsistente Unterschiede zwischen potenzierten Substanzen und entsprechenden Kontrollen identifiziert (10). Ein theoretisches Modell, welches diese Modifikationen als Träger von spezifischen Arzneimittelwirkungen interpretiert, steht jedoch noch aus (9). Seit dem Jahr 2000 hat die physikochemische Forschung zu potenzierten Arzneien einen deutlichen Aufschwung erlebt. So wurden Ende 2015 im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit mehr als 150 Fachpublikationen identifiziert, welche derzeit von einer internationalen Arbeitsgruppe inhaltlich evaluiert werden. Das Forschungsgebiet ist vom Einsatz vieler unterschiedlicher Methoden gekennzeichnet, welche zum Teil nur in einzelnen Untersuchungen eingesetzt und oft nicht repliziert wurden, wie z. B. die Untersuchung auf Nanopartikel (11) oder der Reaktivität von Farbstoffen (12).

Die Forschung zu potenzierten Präparaten mittels in vitro Assays wurde zuletzt 2007 zusammenfassend dargestellt (13). Die evaluierten 67 experimentellen Untersuchungen lassen sich gliedern in zellfreie Systeme (z. B. enzymatische Modelle), Zellkulturen und Modelle mit Zellen aus Spenderblut. Unter den Letzteren machen die Untersuchungen mit humanen basophilen Granulozyten einen beträchtlichen Anteil (42 %) aller Experimente aus. Das am häufigsten eingesetzte Modell ist die Hemmung der basophilen Degranulation durch Potenzen von Histamin. Hier liegen einige Replikationsstudien sowie eine Multicenter-Studie vor (14). Bei den Untersuchungen mit humanen basophilen Granulozyten fällt auf, dass sich in verschiedenen unabhängigen Untersuchungen Effekte auch von Hochpotenzen (jenseits der inversen Avogadrozahl) beobachten ließen. Das Muster der aktiven und inaktiven Potenzstufen innerhalb einer gegebenen Abfolge von Potenzen (die „Potenzkurve“) unterschied sich jedoch für jede Untersuchung (15), sowohl zwischen verschiedenen Laboratorien als auch bei Wiederholung innerhalb desselben Labors (16). Da die basophilen Zellen jeweils von unterschiedlichen Blutspendern stammten , ist eine Abhängigkeit der Resultate vom individuellen Donor denkbar, bis dato aber noch nicht empirisch nachgewiesen.

Bioassays mit Pflanzen stellen das dritte Forschungsgebiet zu Wirkung und Wirksamkeit potenzierter Substanzen dar. Der Forschungsstand wurde hier zuletzt 2009/2011 systematisch aufgearbeitet (17-19). In den drei Hauptgebieten Bioassays mit gesunden Pflanzen, Intoxikationsmodelle und phytopathologische Untersuchungen wurden insgesamt 167 experimentelle Studien in 157 Publikationen identifiziert – hiervon erfüllten 48 höhere Qualitätsmaßstäbe und wurden in eine vertiefte Analyse aufgenommen (20). Der am häufigsten eingesetzte Testorganismus war Weizen, gefolgt von Wasserlinsen und Erbsen, der meistverwendete Stressor war Arsen. Als potenzierte Substanz fand Silbernitrat am häufigsten Verwendung, gefolgt von Arsen und Gibberellin. In verschiedenen  Untersuchungen wurden spezifische Auswirkungen auch von Potenzen jenseits der inversen Avogadrozahl beobachtet. In den Modellen, welche kontinuierliche Serien von Potenzen (Potenzreihen) untersuchten, wurde in allen Fällen ein diskontinuierlicher Zusammenhang von Effekt und Potenzstufe beobachtet, d. h. wirksame und unwirksame Potenzen wechselten sich nach einer bestimmten, aber je nach Untersuchung unterschiedlicher Reihenfolge ab.

Zum vierten großen Forschungsbereich, den Tierversuchen, gibt aus jüngster Zeit nur kursorisch-deskriptive oder zeitlich bzw. thematisch eingeschränkte Übersichtsarbeiten, dies wohl aufgrund der hohen Gesamtzahl an wissenschaftlichen Arbeiten (4). Die Versuche wurden mehrheitlich entweder mit Ratten (35 %) oder mit Mäusen (29 %) durchgeführt (4). Die eingesetzten Forschungsansätze wurden exemplarisch am Beispiel der Ratte kategorisiert (21). In den meisten Experimenten wurde in den Tieren ein definierter Krankheitszustand künstlich induziert, in der Mehrzahl der Fälle handelte sich um Vergiftungen (z. B. durch Arsen, Blei, CCl 4 o. ä.), Induktion von Verhaltensstörungen (z. B.  durch Ethanol, Koffein u. a.), Entzündungsmodelle (z. B. durch Carrageen) oder induzierte hormonale Störungen. Die Tiere wurden dann entweder prophylaktisch oder kurativ mit potenzierten Arzneimitteln behandelt (vor bzw. nach der Induktion des Krankheitszustandes). Zu den Studien aus dem Bereich der experimentellen Toxikologie liegt ein systematischer Review über 105 Publikationen vor (22). 26 Studien konnten in eine quantitative Meta-Analyse eingeschlossen werden, im Durchschnitt ergab sich ein Schutzindex von 19.7 % für die untersuchten Indikationen (Überlebensrate, Ausscheidung von Toxinen) durch die Applikation von potenzierten Substanzen, die nach isopathischem Prinzip ausgewählt wurden. Neben den künstlich induzierten Krankheitsmodellen gibt es zwei weitere Modellcluster, in denen die Wirkung potenzierter Stoffe untersucht wurde: Entwicklungsmodelle und Tierverhaltensmodelle. Im Bereich der Entwicklungsmodelle wurde insbesondere mit einem Amphibienmodell wiederholt gearbeitet, in dem die Wirkung von Thyroxin D30 auf die Metamorphose von Rana temporaria untersucht wurde. Der hemmende Effekt von Thyroxin D30 auf die  Metamorphose wurde in einer Meta-Analyse von 26 Studien als signifikant beurteilt. Der Effekt scheint zudem recht robust zu sein, da sowohl die interne als auch die externe Reproduzierbarkeit positiv beurteilt wurde (23). Eine neuere Übersichtsarbeit zu Tierverhaltensmodellen identifizierte 18 Publikationen, die eine breite Palette an Modellen und Methoden abdeckten (24). Ein Schwerpunkt ergab sich für die potenzierten Arzneien Ignatia, Gelsemium und Chamomilla. Potenzierte Gelsemium-Päparate ergaben in einer Reihe von Untersuchungen hochsignifikante Effekte in Verhaltensversuchen mit Mäusen, die in derselben Größenordnung lagen wie konventionelle Psychopharmaka in stofflicher Dosierung (24).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die präklinische Forschung zu potenzierten Präparaten durch eine große Vielfalt an Methoden und untersuchten potenzierten Arzneien gekennzeichnet ist. Unter der großen Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen befinden sich auch viele qualitativ hochwertige Studien, welche eine empirische Evidenz für spezifische Effekte auch hochverdünnter potenzierter Präparate aufzeigen.

Forschung zum Dosis-Wirkungs-Zusammenhang

Das empirisch am besten etablierte Resultat im Bereich der präklinischen Forschung zu potenzierten Präparaten ist das Phänomen des nichtlinearen Zusammenhangs zwischen Effekt und Potenzstufe. In meines Wissens jeder präklinischen Untersuchung, welche mehrere Potenzstufen derselben Substanz untersuchte, wurden wirksame und unwirksame Potenzstufen beobachtet, welche nach einem bestimmten Muster (nach Kolisko (25) „Potenzkurve“ genannt) aufeinander folgen (17-19, 24). Diese Muster sind in der Regel innerhalb einer Untersuchungsreihe stabil (26-28), können sich aber im Laufe der Zeit auch verändern (28) oder zwischen unabhängigen Labors unterscheiden (14, 16). Bis dato wurde noch keine Potenzkurve identifiziert, welche sich entweder für die untersuchte potenzierte Substanz, die experimentelle Methode oder eine Kombination von Substanz und Methode als stabil erwies. Ob dies an noch nicht identifizierten Einflussfaktoren liegt oder ob es sich hierbei um ein Phänomen handelt, welches der Wirkung potenzierter Arzneien inhärent ist, kann im Moment noch nicht beantwortet werden.

Forschung zum Simile-Prinzip

Das Simile-Prinzip wurde im Vergleich zum Potenzierungsverfahren weitaus weniger intensiv untersucht: Der aktuelle Stand der Forschung wurde zuletzt im Jahr 2011 zusammengefasst (29). Im Rahmen der Forschung zur Hormesis wurde deutlich, dass niedrige Dosierungen von Stressoren, welche vor oder nach einer akut schädlichen höheren Dosis desselben Stressors verabreicht wurden, diese schädlichen Wirkungen abmildern können, sowohl im klinischen als auch im präklinischen Bereich (29). Im Kontext der Homöopathie kann dies als empirische Evidenz für das isopathische Prinzip („Gleiches mit Gleichem“ behandeln) angesehen werden. Die beste empirische Evidenz für eine Anwendbarkeit des Simile-Prinzips („Ähnliches mit Ähnlichem“ behandeln) im Bereich der präklinischen Forschung ergab sich für Zellkulturuntersuchungen einer holländischen Arbeitsgruppe. In diesen Untersuchungen wurden Zellen zuerst mit einem Hitzeschock gestresst. Eine Nachbehandlung mit tiefen Dosen einer Reihe verschiedener Stressoren ergab eine umso bessere Überlebensrate, je ähnlicher der jeweilige Stressor dem Hitzeschock in Bezug auf das Spektrum der gebildeten Proteine war (30).

Forschung zum biologischen Wirkprinzip

Eine mögliche Ursache für Schwierigkeiten mit der Reproduzierbarkeit von Resultaten aus der Forschung an potenzierten Substanzen könnte darin bestehen, dass die experimentellen Systeme und/oder die erfassten Messgrößen der Wirkungsnatur potenzierter Substanzen nicht adäquat sind. So wurde beispielsweise die Hypothese aufgestellt, dass die Wirkung von potenzierten Stoffen nicht primär darin besteht, eine bestimmte Wirkung in einer bestimmten Richtung (unabhängig vom System und seinem Zustand) hervorzubringen, sondern dass die Wirkung darin besteht, dass potenzierte Stoffe ausgleichend wirken bzw. die Homöostase fördern. In eine experimentelle Sprache übersetzt bedeutete dies, dass nicht primär Wirkungen auf den Mittelwert eines Kollektivs zu erwarten wären, welcher reproduzierbar in eine bestimmte Richtung verschoben wird, sondern dass die Streuung des Systems reduziert würde. Genau dies wurde in einer Meta-Analyse über verschiedene experimentelle Systeme, in denen die Wirkung von potenziertem Arsen untersucht wurde, beobachtet (31). Ob dieses Phänomen spezifisch der Wirkung von potenziertem Arsen zugeordnet werden muss oder ob es generell für die Wirkung potenzierter Arzneien typisch ist, kann aufgrund der fehlenden experimentellen Daten im Moment nicht entschieden werden.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass der Zustand eines experimentellen Systems die Reaktion auf eine Behandlung mit potenzierten Stoffen entscheidend beeinflusst. So ist etwa die Reaktion von Pisum sativum auf eine Behandlung mit potenziertem Gibberellin abhängig von der Saatgutcharge (32). Die Metamorphose von Rana temporaria wird durch potenziertes Thyroxin nur dann beeinflusst, wenn die Amphibien aus Hochlandbiotopen stammen (33, 34). Lemna gibba reagiert nur dann auf potenziertes Gibberellin, wenn die Organismen sich im Zustand der Gibbosität befinden (28). Der Behandlungseffekt durch potenziertes Lyopodium im phytopathologischen Modellsystem Malus domestica/Dysaphis plantaginea Pass. ist besonders ausgeprägt, wenn der Stress durch D. plantaginea nicht zu hoch ist (35). Diese Fallbeispiele weisen deutlich darauf hin, dass eine Wirkung potenzierter Stoffe insbesondere dann zu beobachten ist, wenn sich die Testorganismen in einem leicht, aber nicht zu stark gestressten Zustand befinden. Die Abweichung von der Homöostase darf offenbar nur so groß sein, dass die Organismen den Gleichgewichtszustand aus eigenen Kräften wieder erreichen können. Diese Aussage ist momentan noch als Arbeitshypothese zu nehmen und sollte bei der weiteren Methodenentwicklung sorgfältig geprüft werden. Nach einer Verifikation wäre dies als Erkenntnis eines Teils des biologischen Wirkprinzips potenzierter Arzneien zu werten.

Ein weiterer Aspekt des Wirkprinzips wird in der Hypothese formuliert, dass potenzierte Arzneien auf der Ebene der Selbstregulationsfähigkeit des Gesamtorganismus ihre Wirkung entfalten. Empirische Hinweise hierauf gibt es in einer Reihe von Tierversuchen aus dem Bereich der experimentellen Onkologie. So konnten durch die systemische Verabreichung von potenzierten Arzneien bei Tieren, welche mit Krebszellen inokuliert wurden, Anzahl und Größe der entstehenden Tumoren verringert werden; eine Behandlung der Krebszelllinien mit den selben potenzierten Arzneien in vitro zeigt keinerlei Wirkung (36-39). Diese Resultate sprechen eindeutig für eine Wirkung auf übergeordneter gesamtorganismischer Ebene. Auch dieser Aspekt des biologischen Wirkprinzips potenzierter Arzneien muss in zukünftigen Untersuchungen noch genauer bestimmt werden. Die Relevanz für das Design präklinischer Modellsysteme ist ersichtlich: Bei zutreffender Hypothese werden Untersuchungen an Krebszelllinien keine Wirksamkeit potenzierter Arzneien erwarten lassen (40).

Reproduzierbarkeit der Grundlagenforschung in der Homöopathie

Im Jahr 2010 identifizierte eine systematische Übersichtsarbeit zur Frage der Reproduzierbarkeit von Effekten in der Grundlagenforschung an potenzierten Präparaten 24 experimentelle Modelle, welche in insgesamt 107 Studien eingesetzt wurden und laborintern oder extern wiederholt wurden (41). Von diesen 24 Modellen ergaben sich in Wiederholungsversuchen für 22 Modelle ähnliche Resultate, für 6 Modelle differierende Resultate und für 15 Modelle keine Effekte. Unabhängige Reproduktionen ergaben für 7 Modelle signifikante Resultate. Damit kann festgehalten werden, dass die präklinische Forschung an potenzierten Arzneien in den letzten 10 Jahren einen deutlichen Fortschritt gemacht hat, da noch 1999 kein einziges experimentelles Modell bekannt war, dessen Resultate unabhängig reproduziert werden konnten (1).

Ausblick

Durch den Fortschritt in der Methodenentwicklung rückt damit die Bearbeitung verschiedener wissenschaftlich und pharmazeutisch relevanter Fragestellungen in Griffweite. Erstens ist hier an die Bestimmung des Wirkprinzips potenzierter Arzneien zu denken, sowohl auf der pharmazeutischen als auch auf der biologisch-medizinischen Ebene. Im pharmazeutischen Bereich ist an zwei Ansätze zu denken:

  1. Eine Vertiefung und methodische Ausweitung der physikalischen Untersuchungen zur Bestimmung der spezifischen molekularen Struktur und Dynamik von potenzierten Arzneien
  2. Physikalische Interventionen an potenzierten Arzneien, deren Auswirkungen dann mittels geeigneter Bioassays untersucht werden und welche dann Rückschlüsse auf das Wirkprinzip erlauben

Des Weiteren könnten mit etablierten Untersuchungsmethoden pharmazeutisch relevante Fragestellungen untersucht werden, insbesondere im Bereich der Stabilität gegenüber äußeren Einflüssen (z. B. Hitze, Druck, Sterilfiltration, elektromagnetische Strahlung etc.) und damit auch der Haltbarkeit im Allgemeinen.

Arbeitsgruppen und Organisationen

In Europa gibt es derzeit 5 Arbeitsgruppen, welche sich vertieft mit Fragen der Grundlagenforschung an potenzierten Präparaten beschäftigen. Diese Arbeitsgruppen sind lokalisiert an der Universität Witten/Herdecke (Deutschland, PD Dr. Stephan Baumgartner), an der Universität Bern (Schweiz, Prof. Dr. Ursula Wolf), am Interuniversitären Kolleg Graz (Österreich, Prof. Dr. Christian Endler), an der Universität Verona (Italien, Prof. Dr. Paolo Bellavite) und an der Universität Bologna (Italien, Prof. Dr. Lucietta Betti). In Übersee gibt es mehrere universitäre Arbeitsgruppen in Brasilien und Indien.

An Organisationen sind zu nennen die GIRI (Groupe International de Recherche sur l’Infinitésimal, www.giri-society.org) als wissenschaftliche Standesgesellschaft im Bereich der Grundlagenforschung an potenzierten Präparaten, die Karl und Veronica Carstens-Stiftung als Träger der HomBRex-Datenbank (www.carstens-stiftung.de) und das HRI (Homeopathy Research Institute) als Organisator von Tagungen im Bereich der homöopathischen Forschung (www.hri-research.org).

Zusammenfassung

Zum Stand der präklinischen Forschung mit potenzierten Substanzen kann damit Folgendes festgehalten werden: Unter den mehr als 1.000 fachwissenschaftlichen Publikationen gibt es eine beträchtliche Anzahl von qualitativ hochwertigen Studien, welche eine empirische Evidenz für eine spezifische Wirksamkeit auch hochverdünnter potenzierter Arzneien beobachteten. Ebenso gibt es mehrere experimentelle Modelle, mittels welcher in unabhängiger Replikation signifikante spezifische Effekte potenzierter Präparate festgestellt wurden. Die empirisch festgestellte Modifikation der Moleküldynamik in potenzierten Arzneien könnte einen Aspekt des physikochemisch-pharmazeutischen Wirkprinzips abbilden, welches in seiner Gesamtheit jedoch noch zu bestimmen ist. Auch zum biologischen Wirkprinzip einer regulativen, gesamtorganismischen Reaktion auf Abweichungen von der Homöostase gibt es erste empirische Hinweise.

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