Zwischenbilanz „Corona-Pandemie“: Dr. Michaela Geiger begründet den Weg des DZVhÄ und macht deutlich, warum es eine Zukunft der medizinischen Versorgung nur mit ärztlicher Homöopathie geben kann.

Ärztliche Homöopathie: Frau Dr. Geiger, wenige Tage nachdem auch Deutschland als Corona-Pandemie-Region eingestuft worden war, hat sich der DZVhÄ mit einer in den Medien viel zitierten Pressemitteilung hinter das Krisenmanagement des Robert-Koch-Instituts und der nationalen Gesundheitsbehörden gestellt und seine Mitglieder dazu aufgerufen, zurückhaltend zu sein „hinsichtlich jeder Art von homöopathischen Vorsorge- oder Therapie-Empfehlungen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus“.  Dafür mussten Sie aus den Reihen Ihrer eigenen Mitglieder teilweise heftige Kritik einstecken. Kam die Positionierung des DZVhÄ zu schnell?

Michaela Geiger: Wir sind ein Verband, der fast 7000 Ärzte in Deutschland vertritt. Wir haben getan, was zu unseren Aufgaben gehört: In einer wichtigen Angelegenheit Stellung zu beziehen und Orientierung zu geben.

Unsere Positionierung erfolgte in einer medizinischen wie gesellschaftlichen Ausnahmesituation. Angesichts der unverkennbaren gesundheitlichen Gefährdung durch das Corona-Virus, seiner schnellen Verbreitung und unkalkulierbaren Folgen war das ein wichtiges Zeichen, zu dem der Bundesvorstand des DZVhÄ auch heute noch uneingeschränkt steht.

Es war ein Zeichen, das sich nicht nur an unsere Mitglieder und deren Patientenschaft gerichtet hat, sondern an alle in Deutschland, die zu diesem Zeitpunkt besorgt und verunsichert waren – und davon gab es Millionen. Unsere Positionierung war auch ein Signal an die Verantwortlichen in den Krisenstäben, die sich ja ebenfalls in einer Phase der Orientierung befanden, und dankbar waren für jede Unterstützung in dieser schwierigen Lage.

Es gibt Situationen, in denen man die eigenen Interessen, so berechtigt sie sein mögen, hinter das Interesse der Allgemeinheit stellen und solidarisch statt individualistisch handeln muss. Zu Beginn der Corona-Pandemie hatten wir eine solche Situation.

Das sehen nicht alle Mitglieder des DZVhÄ so. Ein Vorstandsmitglied eines Landesverbands hat in diesen Wochen sein Amt niedergelegt, weil er dem Bundesvorstand vorwirft, dieser vertrete auch Monate nach Ausbruch der Pandemie noch immer nicht hinreichend, welche Möglichkeiten die Homöopathie zur Vorsorge gegen eine Infektion mit dem Corona-Virus und zur Behandlung von Covid 19-Erkrankungen habe.

Stattdessen, so der Vorwurf, unterwerfe sich der DZVhÄ den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der politischen Krisenstäbe, obwohl sich deren Einschätzungen und Weisungen in vielerlei Hinsicht als falsch und unangemessen herausgestellt hätten.

Ein wenig erinnert mich solche Kritik an etwas, das man bei Bergtouren erleben kann, die man mit Gruppen unterschiedlich erfahrener Mitwanderer macht: Beim Aufstieg folgen alle dem Einen, der vorangeht, den sicheren Pfad sucht und letztlich der Gemeinschaft den Weg auf den Gipfel zeigt. Dort angelangt, schauen alle zurück. Die meisten dankbar und erleichtert, es so gut geschafft zu haben. Einzelne aber beginnen zu murren: Über angeblich verpasste Abkürzungen oder, wie sie plötzlich zu wissen meinen, weniger steile und riskante Wege.

Mit Blick auf Corona lautet die entscheidende Frage doch: Konnte die ärztliche Homöopathie zu Beginn der Corona-Pandemie auf ein gesichertes Wissen und hinreichend Erfahrung verweisen, um alternative Wege für einen Umgang mit der aufkommenden Pandemie vorschlagen zu können? Antwort: Nein, sie konnte es nicht.

Vielmehr befand sich die ärztliche Homöopathie in einer Situation, die sich kaum oder gar nicht unterschied von jener der konventionellen Medizin: Das Nichtwissen war größer als das Wissen. Die Erfahrung, auf die einzelne verwiesen, wurde von anderen mit nicht weniger stichhaltigen Argumenten in Frage gestellt. Die Ärzte befanden sich, unabhängig von Fachrichtung und ‚Schule‘, ausnahmslos am ‚Punkt Null‘.

Dennoch gab es ärztliche Homöopathen in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt, die behauptet haben, sie könnten Covid-19-Patienten heilen. Ihr Verband behauptet das Gegenteil. Wie passt das zusammen?

Nochmals: Es gab im März diesen Jahres kein Arzneimittel gegen Corona und Covid-19, und es gibt auch heute, knapp sechs Monate später, keines. Weder hat die Homöopathie eines, noch hat die konventionelle Medizin eines. Im Gegenteil lernen Ärzte und Wissenschaftler nahezu täglich Neues zum Virus und zum Spektrum seiner gesundheitlichen Risiken.

Gemeinsam ist allen Beteiligten, unabhängig vom individuellen medizinischen oder wissenschaftlichen Ansatz, dass jeder und jede alles tut, um Mittel zur Vorsorge und Therapien zur Behandlung zu finden.

Das ist kein Wettkampf und sollte auch nicht als solcher geführt oder verstanden werden. Vielmehr ist es ein gemeinsames Interesse, und entsprechend gemeinschaftlich, über alle medizinischen und wissenschaftlichen Grenzen hinweg sollten wir auch forschen und Infizierte und Erkrankte behandeln. Wir können doch alle nur voneinander profitieren.

Zum Wohl der Allgemeinheit wäre es, wenn konventionelle und integrative Medizin die Herausforderung der Corona-Pandemie auch als Chance für neue Wege der Kooperation verstehen würden.

Doch genau da beginnt der Unterschied: Während die ärztliche Homöopathie auf eine Integration hinarbeitet, wenden sich viele Vertreter der konventionellen Medizin von der Homöopathie und anderen integrativen Methoden ab und kritisieren homöopathische Therapien in häufig sehr unsachlicher und undifferenzierter Weise.

Die Folge ist: Wenn von zehn Covid-Patienten, die konventionell behandelt werden, sieben vollständig genesen, jubelt die Presse: „Erfolg!“

Wenn aber von weiteren zehn Covid-Patienten, die parallel zur konventionellen Therapie auch homöopathisch behandelt wurden, acht oder gar neun vollständig genesen, heißt es: „Das war der Placebo-Effekt.“

Verschärft wird das bei der Covid-19-Infektion dadurch, dass es zahlreiche klinisch milde oder inapparente Verläufe gibt. Damit bleibt genau das schwierig, was für einen ehrlichen wissenschaftlichen Vergleich unabdingbar ist: Die klare Unterscheidung, wann ein ambulanter Verlauf sich aufgrund der einen oder anderen Therapie vom Spontanverlauf abhebt….

In der Konsequenz führt das zu einer Art ungleicher Bewertung von „konventionellen“ und homöopathischen Fallverläufen, die sich das Gesundheitssystem nicht mehr lange leisten kann: Zwei Drittel aller Patienten fordert eine integrative Medizin.

Wollen Sie damit sagen, die ärztliche Homöopathie sei bei der Covid-Behandlung erfolgreicher als die konventionelle Medizin?

Nein, das sage ich ausdrücklich nicht damit. Ich habe lediglich ein Beispiel gemacht, um zu zeigen, wie mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um einen Vergleich zwischen konventioneller Medizin und ärztlicher Homöopathie geht.

Dann formuliere ich meine Frage anders: Was kann die ärztliche Homöopathie in Sachen Covid-19-Behandlungserfolgen bislang vorweisen?

Die Frage impliziert einen Vergleich zwischen ärztlich homöopathischer und konventioneller Behandlung. Ein solcher Vergleich scheitert indessen daran, dass die ärztliche Homöopathie, mit wenigen Ausnahmen, Covid-19-Patienten nur außerhalb klinischer Einrichtungen behandeln oder mitbehandeln kann.

Das bedeutet, dass für die ärztliche Homöopathie die Möglichkeit, Erkenntnisse zu sammeln, von Beginn an beschränkt war auf weniger schwere Krankheitsverläufe, und damit auch wissenschaftlich erheblich eingeschränkt ist.

Aber in dem Rahmen, der ihren Mitgliedsärzten möglich war, haben Sie Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt…?

Ja, das haben wir, und das tun wir auch weiter. Vor allem haben wir ein Dokumentations-Projekt gestartet, um Krankheits- und Therapieverläufe von Covid-19-Patienten zu analysieren, welche ärztliche, homöopathische Begleitung in Anspruch nehmen. Es geht dabei zunächst um eine Homöopathie interne Bestandsaufnahme mit dem Ziel die homöopathische Behandlung zu effektivieren.

Wenn Sie in der heutigen Situation mit Ihren Ergebnissen an Entscheidungsträger oder die Öffentlichkeit treten wollen, müssen Ihre Daten wasserdicht sein. Im Anbetracht der knappen finanziellen und personellen Ressourcen sind derzeit am ehesten Publikationen von auf hohem wissenschaftlichen Niveau dokumentierten Einzelverläufen denkbar, um transparent zu machen, inwieweit und auf welche Weise homöopathische Begleittherapie bei Covid-19 einen deutlich besseren Verlauf erreichen kann, als natürlicher Weise zu erwarten ist.

Das heißt, man kann Ergebnisse erwarten, die den Kriterien wissenschaftlicher Evidenz entsprechen?

Warten wir es ab. Und, bitte: Stellen Sie die gleiche Frage den Verantwortlichen für all die Corona-Forschungsprojekte, die mit Euro-Beträgen bis in den hohen achtstelligen Bereich gefördert werden, bislang aber ausschließlich an Institutionen und Projekt-Teams vergeben wurden, die der konventionellen Medizin zuzurechnen sind.

Wenn Skeptiker ihre Ablehnung der ärztlichen Homöopathie damit begründen, dass es homöopathischen Arzneimitteln und Therapien an wissenschaftlicher Evidenz fehle, dann ignorieren sie Fakten und übersehen, dass während sie mit einem Finger auf uns zeigen, vier Finger auf sie selbst als Befürworter von konventionellen medizinischen Behandlungen zurückweisen.

Denn die Wahrheit ist, dass es, einerseits, ganze Regalmeter an wissenschaftlichen Studien gibt, die die wissenschaftliche Evidenz für eine Vielzahl ärztlich-homöopathischer Therapien nachweisen, während umgekehrt für eine Vielzahl an konventionellen Verfahren, die täglich tausendfach verordnet und von den Krankenkassen bezahlt werden, jede Evidenz fehlt: Stoßwellentherapie gegen Tennisarm, Hyaluronsäure-Injektionen bei Kniearthrose, Palpation zur Diagnostik von Wirbelsäulenproblemen, Opiate bei Ischialgien und, und, und.

Sogar für manche, millionenfach durchgeführte und von vielen Krankenkassen propagierte Vorsorgeuntersuchungen wie die rektal-digitale Untersuchung zur Früherkennung eines Prostata-Karzinoms oder das Zervix-Karzinom-Screening bei Frauen ab dem 20. Lebensjahr fehlt bislang jede wissenschaftliche Evidenz. Aber die Krankenkassen geben wie selbstverständlich Hunderte Millionen Euro jährlich dafür aus.

Besteht nicht die Gefahr, dass Ihr Ziel einer umsichtigen und differenzierten Positionierung des DZVhÄ von einigen Kollegen, die zu schnell zu viel versprechen, zunichte gemacht wird?

Wenn ich nicht auf die Kraft der Überzeugung vertrauen würde, wäre ich die Falsche für ein solches Amt. Und genau so sehen es die übrigen Vorstandsmitglieder des DZVhÄ auch – auf Länderebene genauso wie auf Bundesebene.

Die Homöopathie ist eine medizinische Disziplin, die schon immer geprägt war von lebhaften Diskussionen und, ja, auch Auseinandersetzungen, die sich nicht immer nur auf medizinische Argumente beschränken, sondern weit darüber hinausgehen, manchmal sehr grundsätzlich geführt werden, mitunter auch emotional geprägt sein können.

Und natürlich gibt es in unserem Verband zu unterschiedlichen Themen unterschiedliche Positionen. Bei so vielen Mitgliedern ist das fast selbstverständlich. Und, wenn es auch nicht immer einfach sein mag, führt es andererseits zu einer fortwährenden Reflexion des eigenen Tuns im Kontext einer sich unablässig entwickelnden und verändernden Außenwelt. Ich würde mir einen solchen Dauer-Diskurs von allen medizinischen Schulen und Disziplinen wünschen. Es könnte zu mehr Offenheit für andere Methoden, Wege, Therapien als die eigenen, altbekannten führen.

Was genau hat der DZVhÄ getan, um sich mit einem, wie Sie sagen: „offenen Blick“ daran zu beteiligen, ein Mittel zur Vorsorge gegen und Behandlung von Corona zu finden?

Der DZVhÄ hat in den Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie zahlreiche Projekte aufgesetzt, um Wissen aufzubauen und Erfahrung zu reflektieren, und um möglichst zeitnah und fundiert eine Antwort auf die Frage zu finden: Kann die ärztliche Homöopathie einen Beitrag leisten zur Eindämmung der Corona-Pandemie, einerseits, sowie zur Behandlung von Covid-19-Erkrankten, andererseits?

Wir haben Arbeitsgruppen unter Kolleginnen und Kollegen gegründet und wöchentliche Fallbesprechungen über Zoom abgehalten – teilweise in einem Kreis von mehr als zwei Dutzend Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben ein wissenschaftliches Projekt zur Sammlung und Analyse von Covid-19-Patienten aufgesetzt, die von Ärzten mit entsprechender Zusatzqualifikation homöopathisch behandelt wurden. Wir haben uns weit über die Grenzen Deutschlands hinaus mit internationalen Kolleginnen und Kollegen ausgetauscht.

Und wir standen, nicht zuletzt, in einem regelmäßigen Austausch mit Vertretern der Gesundheitspolitik und des Corona-Krisenmanagements auf Bundes- wie auf Länderebene.

Der DZVhÄ hat sich nach allen Seiten und auf allen Ebenen als konstruktiver Partner angeboten und bewiesen. Das werden wir auch weiterhin so tun.

Die Pandemie dauert an, die Infektionszahlen steigen derzeit auch in Deutschland wieder. Wenn Sie aus Sicht der Homöopathie ein Zwischenfazit ziehen – wie lautet das?

Gibt es Fortschritte im Hinblick auf Vorsorgemaßnahmen und Behandlungen?

Lässt sich vorhandene Erfahrung bei der Bekämpfung von Epidemien und Pandemien auf die Corona-Pandemie übertragen?

Ich rate zur Vorsicht, wenn jemand die These vertritt, historisch überlieferte „Behandlungserfolge“ homöopathischer Mittel und Therapien bei Epidemien und Pandemien ließen sich 1:1 auf die Corona-Pandemie übertragen. Jüngste wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass zwar einiges für einen durchaus positiven Effekt homöopathischer Mittel und Therapien bei einigen schweren Pandemien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts spricht. Das Datenmaterial, das uns zur Verfügung steht, reicht aber nicht aus, um wissenschaftlich gesicherte Schlussfolgerungen für die jetzige Pandemie daraus abzuleiten.

Die Homöopathie sollte also – und das ist wichtig – akzeptieren, dass auch sie im Fall Corona / Covid-19 nicht auf „Erkenntnis“ aufbauen kann, sondern zunächst noch „Erfahrungen“ sammeln und systematisch bewerten muss. Dafür haben wir das bereits erwähnte Projekt aufgelegt; weitere solcher „Fallsammlungen“ laufen parallel dazu in anderen Ländern.

Leider ist es so, dass die Gelder für die Corona- und Covid-19-Forschung derzeit fast ausschließlich in Projekte der konventionellen Medizin fließen, während die Homöopathie leer ausgeht. Das sollte sich dringend ändern.

Gemeinsam – davon bin ich überzeugt – könnten wir viel voranbringen. Zum Besten der Patienten. Und, angesichts knapper Finanzen, auch zum Vorteil der Krankenkassen.

Das Interview führte Armin Huttenlocher.