Berlin, 5. März 2024. Die Debatte um Homöopathie hat seit der Ankündigung durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die Homöopathie als Satzungsleistung aus der GKV zu streichen, an Fahrt gewonnen. Maßgeblich ist das Thema Homöopathie und Wissenschaft.

H. J. Hamre und H. Kiene sind hierzu Experten. Sie haben 2023 ein vielbeachtetes Homöopathie-Review in der renommierten Zeitschrift Systematic Reviews publiziert, ebenso einen beachtenswerten Artikel zu den Wirkungsgrundlagen der Homöopathie. Sie sind tätig am Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie.

Kiene und Hamre haben zum Thema Homöopathie und Wissenschaft den folgenden Text erstellt und dem DZVhÄ erlaubt, ihn hier zu dokumentieren. Der Text gibt Antworten auf vier wichtige Fragen:

  1. Was sagen Laborexperimente zu hochpotenzierten Substanzen?
  2. Ist Homöopathie wirksam – jenseits von Placebo?
  3. Wie kann Homöopathie überhaupt wirksam sein?
  4. Warum wird Homöopathie oft negativ beurteilt?

1. Was sagen Laborexperimente zu hochpotenzierten Substanzen?

Für homöopathisch potenzierte Präparate wurden signifikante Effekte experimentell nachgewiesen und teils repliziert. Solche Effekte wurden in verschiedenen Testsystemen (physikalisch-chemisch [1], in vitro [2], Pflanzen-basiert [3, 4], Tier-basiert [5-7]) beobachtet, was gegen Artefakte und für reale Wirkungen spricht.

2. Ist Homöopathie jenseits von Placebo wirksam?

  • Über 180 randomisierte Placebo-kontrollierte Homöopathiestudien zu verschiedensten Indikationen wurden in insgesamt 6 indikationsübergreifenden Meta-Analysen ausgewertet. Im Oktober 2023 wurde ein systematisches Review zu diesen 6 Metaanalysen in der renommierten Zeitschrift Systematic Reviews publiziert [8]. Bei der offenen Begutachtung wurde kommentiert: “The author’s research is rigorous and has strong data analysis skills” und „This is an extremely detailed and well written systematic review of metaanalyses of trials in homeopathy“ [9]. Im Gesamtergebnis war Homöopathie wirksamer als Placebo [8]:
  • 5 der 6 Meta-Analysen enthielten eine Effektschätzung für alle eingeschlossenen Studien. Alle 5 zeigten signifikant positive Effekte der Homöopathie, im Vergleich zu Placebo.
  • 4 Meta-Analysen enthielten eine Effektschätzung nach Beschränkung auf Studien mit höherer methodischer Qualität. In 3 dieser 4 Analysen blieben die signifikanten positiven Effekte der Homöopathie erhalten, in 1 Meta-Analyse blieb der Effekt positiv, aber nicht signifikant.
  • Die methodische Qualität der Homöopathiestudien war ähnlich oder höher wie bei anderen klinischen Studien mit gleichem Design, aus vergleichbarem Zeitraum und bewertet nach gleichen Kriterien.
  • Die Qualität der Gesamtevidenz für positive Homöopathie-Wirksamkeit in diesem systematischen Review war ähnlich oder höher wie in systematischen Reviews zu anderen Interventionen aus einem vergleichbaren Zeitraum und eingestuft anhand desselben Bewertungsinstruents (GRADE).
  • Für eine generelle Unwirksamkeit, d.h. keinen Unterschied zwischen Homöopathie und Placebo, gab es keine Anhaltspunkte.

Bisherige Kritiken an dieser Evaluation waren verzerrend und ohne wissenschaftliche Substanz [10, 11].

3. Wie kann Homöopathie überhaupt wirksam sein?

Es wird oft argumentiert, homöopathische Hochpotenzen könnten keine Wirkungen haben, weil sie keine Wirkstoffmoleküle enthalten. Dieses Argument beruht auf einem Modell der Natur aus dem 19. Jahrhundert, wonach die gesamte Lebenswelt letztlich aufgrund der Wechselwirkungen von Atomen und Molekülen erklärt werden müsse. Homöopathika werden aber zur Behandlung von Organismen eingesetzt, und gerade die Gestaltbildung und -erhaltung komplexer funktionsfähiger Organismen kann nicht auf der Grundlage jenes Modells erklärt werden [12]. In Organismen sind demnach außer den physikalischen Grundkräften zusätzlich noch spezifische Kräfte der Gestaltbildung wirksam. Damit sie wirksam sein können, muss die Materie des Organismus mit ihnen eine Beziehung eingehen. Hierzu sind die elektromagnetischen Wechselwirkungen der Atome und Moleküle nicht imstande. Folglich kann Materie zusätzlich zu ihrer atomar-molekularen Binnenstruktur noch spezifische andere Eigenschaften haben. Die genannten Kräfte und diese Materieeigenschaften dürften der primäre Wirkungsort homöopathisch potenzierter Arzneimittel sein, evtl. mit sonstigen Sekundärwirkungen [12].

4. Warum wird Homöopathie oft negativ beurteilt?

Der hauptsächliche Grund ist der Glaube, dass Homöopathie prinzipiell nicht wirksam sein könne. Hieraus ergibt sich:

  • Ein Zirkelschluss: Wir „wissen“, dass Homöopathie unwirksam sei; also betrachten wir Studiendaten unter einer Perspektive, in der durch Ausblenden oder Wegerklären positiver Ergebnisse eine Unwirksamkeit erscheint; also können wir „nachweisen“, dass Homöopathie unwirksam ist, was wir schon „wussten“ ([8], S. 21).
  • Zweierlei Maß: Erstens werden bei Bewertungen von Homöopathie-Studien oft höhere methodische Anforderungen angelegt als bei sonstigen klinischen Studien [13]. Zweitens werden bei Aussagen zu vermeintlichen Evidenzmängeln der Homöopathie oft sehr niedrige methodische Anforderungen gestellt [10, 11].

Viele der weitbekannten negativen Homöopathie-Beurteilungen folgen diesen Mustern [14-18].

Referenzen

1. Tournier A, Würtenberger S, Klein SD, Baumgartner S. Physicochemical investigations of homeopathic preparations: a systematic review and bibliometric analysis, Part 3. J Altern Complement Med. 2021;27(1):45-57. https://doi.org/10.1089/acm.2020.0243
2. Witt CM, Bluth M, Albrecht H, Weisshuhn TE, Baumgartner S, Willich SN. The in vitro evidence for an effect of high homeopathic potencies – a systematic review of the literature. Complement Ther Med. 2007;15(2):128-38. https://doi.org/10.1016/j.ctim.2007.01.011
3. Ücker A, Baumgartner S, Sokol A, Huber R, Doesburg P, Jager T. Systematic review of plant-based homeopathic basic research: an update. Homeopathy. 2018;107(2):115-29. https://doi.org/10.1055/S-0038-1639580
4. Ücker A, Baumgartner S, Martin D, Jäger T. Critical evaluation of specific efficacy of preparations produced according to European Pharmacopeia Monograph 2371. Biomedicines. 2022;10(3). https://doi.org/10.3390/biomedicines10030552
5. Bellavite P, Conforti A, Marzotto M, Magnani P, Cristofoletti M, Olioso D, Zanolin ME. Testing homeopathy in mouse emotional response models: pooled data analysis of two series of studies. Evid Based Complement Alternat Med. 2012;2012:954374. https://doi.org/10.1155/2012/954374
6. Bonamin LV, Cardoso TN, de Carvalho AC, Amaral JG. The use of animal models in homeopathic research – a review of 2010-2014 PubMed indexed papers. Homeopathy. 2015;104(4):283-91. https://doi.org/10.1016/j.homp.2015.06.002
7. Endler PC, Scherer-Pongratz W, Harrer B, Lingg G, Lothaller H. Amphibians and ultra high diluted thyroxine – further experiments and re-analysis of data. Homeopathy. 2015;104(4):250-6. https://doi.org/10.1016/j.homp.2015.10.001
8. Hamre HJ, Glockmann A, von Ammon K, Riley DS, Kiene H. Efficacy of homeopathic treatment: Systematic review of meta-analyses of randomised placebo-controlled homeopathy trials for any indication. Syst Rev. 2023;12:191. https://doi.org/10.1186/s13643-023-02313-2
9. Peer-review reports on original submission: Hamre HJ et al. Efficacy of homeopathic treatment: Systematic review of meta-analyses of randomised placebo-controlled homeopathy trials for any indication. Syst Rev [Internet]. 2023. Available from: https://systematicreviewsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13643-023-02313-2/peer-review
10. Hamre HJ, von Ammon K, Glockmann A, Kiene H. Comment on blog by Edzard Ernst on systematic review. IFAEMM Projekte Homöopathie [Internet]. 2023 13.02.2024. Available from: https://www.ifaemm.de/wp-content/uploads/go-x/u/4bd9ac08-a581-4e82-b1a4-a0b3b7a257e3/Hamre-HJ-von-Ammon-K-Glockmann-A-Kiene-H.-Comment-on-blog-by-Edzard-Ernst-on-systematic-review.-13.11.2023.pdf
11. Hamre HJ, von Ammon K, Glockmann A, Kiene H. Unzuverlässiges Informationsnetzwerk. IFAEMM Projekte Homöopathie [Internet]. 2024. Available from: https://www.ifaemm.de/wp-content/uploads/go-x/u/71c7cdb3-60ad-4414-8526-dd8265821b0e/ Hamre_et_al_2024-02-21_Richtigstellung_gegenueber_INH.pdf
12. Kiene H, Hamre HJ. Eine zentrale Frage zur Komplementärmedizin: Gibt es in der Natur außer den physikalischen Grundkräften noch weitere Kräfte? Complement Med Res. 2023. https://doi.org/10.1159/000534899
13. The Australian Report: Data extracted from NHMRC’s Table 1 (Information Paper, p.18-20), with analysis of combined impact of ‘reliability’ thresholds for trial sample size and quality. London: Homeopathy Research Institute; 2015. Available from: https://www.hri-research.org/resources/homeopathy-the-debate/the-australian-report-on-homeopathy/
14. Ernst E. A systematic review of systematic reviews of homeopathy. Br J Clin Pharmacol. 2002;54(6):577-82. https://doi.org/10.1046/j.1365-2125.2002.01699.x
15. Shang A, Huwiler-Muntener K, Nartey L, Juni P, Dorig S, Sterne JA, et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet. 2005;366(9487):726-32. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(05)67177-2
16. Science and Technology Committee. Evidence Check 2: Homeopathy. Fourth Report of Session 2009-10. London: House of Commons; 2010 22.02.2010. Contract No.: HC 45.
17. ter Meulen V, Bach J-F, Denk H, Ertl G, Griffin G, Gundersen K, et al. Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU. Halle (Saale): European Academies’ Science Advisory Council; 2017.
18. Sigurdson MK, Sainani KL, Ioannidis JPA. Homeopathy can offer empirical insights on treatment effects in a null field. J Clin Epidemiol. 2023;155:64-72. https://doi.org/10.1016/j.jclinepi.2023.01.010.

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