Interview mit Dr. med. vet. Brigitte Hentschel, sie ist praktische Tierärztin aus München mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie und leitet die Vetmed Arbeitsgruppe des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Eine neue EU Bio Verordnung ist erlassen, sie tritt Anfang 2022 in Kraft und bringt einschneidende Veränderungen auch für den Bereich der Homöopathie mit sich. Brigitte Hentschel hat den Überblick und erklärt, was sich im Stall verändern wird.

Lassen sich die häufigsten Erkrankungen von Nutztieren homöopathisch behandeln?

Das ist eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist. Viele Krankheiten, an denen Nutztiere leiden, haben ihre Ursache in der Haltung der Tiere, die – egal wie gut sie ist – niemals natürlich sein kann. Und wenn die Haltung nicht die Ursache der Krankheit ist, so wird diese häufig durch Haltungsmängel verschärft  oder verkompliziert. Neben der Haltung spielt auch das Betriebsmanagement für die Bestandsgesundheit eine sehr große Rolle. Mängel in diesem Bereich spielen als Krankheitsursache ebenfalls eine große Rolle. Deshalb muss neben der Therapie des Einzeltieres immer eine ordentliche Bestandsbetreuung durchgeführt werden. Wenn Haltung und Management stimmen, kann als Therapieoption auch Homöopathie herangezogen werden – und dann sind auch die Erkrankungen von Nutztieren homöopathisch behandelbar.

Kann durch konsequente homöopathische Therapie auch das Immunsystem einer Kuh nachhaltig verbessert werden?

Ja, aber auch hier nur unter der Voraussetzung, dass auch das Betriebsmanagement stimmt.

Wenn ja, was bedeutet das für den Landwirt?

Für den Landwirt bedeutet das zunächst mal, dass er mehr Zeit in die Tierbeobachtung investieren muss. Homöopathie ist eine Individualmedizin und die Mittel werden nach Symptomen verschrieben. Wenn man die Symptome nicht erkennt, kann man kein wirksames Mittel verschreiben – und dann wird das Mittel auch nicht wirken. Außerdem braucht man viel Erfahrung, um die wichtigen Symptome zu erkennen – ein Wochenendkurs nach dem „Rezept-Prinzip“ reicht da bei Weitem nicht aus. Damit kann man vielleicht einfache akute Fälle behandeln, bei einer subklinischen Mastitis oder der Mortellaro`schen Erkrankung wird man jedoch sehr schnell an seine Grenzen stoßen.

Mit entsprechender Erfahrung – oder mit einem entsprechend geschulten und erfahrenen homöopathisch arbeitenden Tierarzt, der den Bestand betreut – bedeutet die weitgehend homöopathische Behandlung eines Nutztierbestandes für den Landwirt weniger Medikamenteneinsatz, weniger Kosten durch Sperrfristen auf Fleisch, Milch und Eier, weniger Resistenzen und einen langfristig gesünderen Bestand.

Welches sind die wichtigsten Neuerungen der EU Bio Verordnung, die nächstes Jahr in Kraft tritt?

Die EU Bio Verordnung (VO) ist bereits 2018 in Kraft getreten, gilt aber erst  ab dem 1. Januar 2022. Sie ist also nicht wirklich neu. Der wichtigste Punkt dieser Verordnung, der den Homöopathen den Rücken stärkt, ist folgender:

  • VO (EU) 2018/848 Anh. II, Teil II 1.5.2.2. besagt, dass Krankheiten unverzüglich zu behandeln sind, um ein Leiden der Tiere zu vermeiden (…)
  • (…) chemisch-synthetische allopathische Tierarzneimittel einschließlich Antibiotika dürfen erforderlichenfalls unter strengen Bedingungen und unter der Verantwortung eines Tierarztes verabreicht werden, wenn…die Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Mitteln ungeeignet ist!

Dieser Absatz erhebt die Homöopathie – und die Phytotherapie – zur First-Line-Medicine. Wir Veterinäre sehen ihn als Grundlage unserer Forderung zu mehr Ausbildung in zumindest den Grundlagen der Homöopathie im Rahmen des Studiums der Veterinärmedizin.

Und dann tritt noch die neue Tierarzneimittelverordnung in der EU in Kraft. Was ändert sich hier?

Genau, und sie wird momentan viel diskutiert. Die neue EU-Verordnung über Tierarzneimittel wurde am 7. Januar 2019 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt am 28. Januar 2022 in Kraft. Sie regelt  auch die Umwidmung von Human- in Tierarzneimittel, die ausnahmslos dem Tierarzt vorbehalten ist. Es heißt: Es kann jedoch Situationen geben, in denen kein geeignetes zugelassenes Tierarzneimittel verfügbar ist. Ausnahmsweise sollten Tierärzte dann für die von ihnen behandelten Tiere unter Befolgung strenger Regeln und ausschließlich im Interesse der Tiergesundheit und des Tierschutzes andere Arzneimittel verschreiben dürfen. Bei der Lebensmittelgewinnung dienenden Tieren sollten die Tierärzte dafür sorgen, dass angemessene Wartezeiten verordnet werden, damit schädliche Rückstände solcher Arzneimittel nicht in die Lebensmittelkette gelangen, und wenn Antimikrobenmittel verabreicht werden, ist daher besondere Sorgfalt geboten“.

Ursprünglich war die Intention des Gesetzgebers, die Tierbesitzer und/oder Laien davon abzuhalten, ihre Tiere mit Humanarzneimitteln selbst zu therapieren – etwa mit Ibuprofen oder Paracetamol – da es dabei immer wieder zu tierschutzwidrigen „Unfällen“ kommt. Treibende Kraft waren hier u.a. Tierschutzverbände. Die Tatsache, dass auch homöopathische Mittel vor dem AMG Arzneimittel sind, war dem Gesetzgeber wahrscheinlich nicht bewusst bzw. egal. Aber sie sind es, also fallen sie drunter und deshalb dürfen Homöopathika nur noch vom Tierarzt verschrieben werden.

Was bedeutet das für Tierheilpraktiker?

Das bedeutet im Klartext: nach der EU-VO über Tierarzneimittel dürfen ab dem 28. Januar 2022 homöopathische Einzelmittel, die keine Veterinär-Zulassung haben, durch Tierhalter oder andere nicht-Tierärzte – und darunter fallen auch Tierheilpraktiker – nicht mehr bei Tieren angewandt werden. Was das auf nationaler Ebene genau bedeutet, wird das neue Tierarzneimittelgesetz (TAMG) regeln, an welchem momentan noch gearbeitet wird.

Bei Nutztieren durften diese übrigens noch nie durch nicht-Tierärzte angewandt werden, da hier sämtliche Arzneimittel schon immer durch einen Tierarzt umgewidmet werden mussten, wenn sie keine Zulassung für das entsprechende Tier haben. Und wenn sie eine Zulassung für das entsprechende Tier haben, dann müssen sie durch einen Tierarzt abgegeben werden und es muss ein Anwendungs-und Abgabebeleg vorhanden sein! Das ist eine kleine, aber nicht unwichtige Tatsache, die in den letzten Jahren von Landwirten und THPs geflissentlich ignoriert wurde und leider auch manchmal von den Veterinärämtern. Auch zu diesem Punkt werden sicherlich neue Regelungen im TAMG stehen.

Welche Probleme tauchen auf und können wie gelöst werden?

Durch das Verabreichungsverbot von Homöopathika durch nicht-Tierärzte entsteht vor allem im Nutztierbereich eine Therapielücke, da es nur sehr wenige Tierärzte mit entsprechender Qualifikation in Homöopathie gibt. Mehr Ausbildung und die Integration zumindest der Grundlagen in Homöopathie in das Studium der Veterinärmedizin sind unter diesen Umständen absolut geboten!

Wie funktioniert das Umwidmen von Arzneimitteln?

Also: Jedes Medikament durchläuft ein Zulassungsverfahren, welches gesetzlich festgelegt ist. Arzneimittel werden hinsichtlich ihrer Indikation bei bestimmten Krankheiten und ihrer „Zielperson“ zugelassen (Mensch oder Tierart). Da jede Zulassung die Arzneimittelfirmen viel Geld kostet, sind AM spezifisch zugelassen – also für den Menschen oder eine oder mehrere Tierarten (meist Hund/Katze oder Rind oder Schwein oder Pferd). Meistens lassen die Firmen die Arzneimittel für die Tierarten und Indikationen zu, die am häufigsten sind, um Geld zu sparen. In der Tiermedizin gibt es jetzt mehrere Probleme:

  1. es gibt viel mehr Tierarten als die, für die die Zulassung gilt (z.B. Vögel, Exoten, Fische, Puten, kleiner Wiederkäuer…..)
  2. es gibt viel mehr Krankheiten
  3. oft hat man ein Medikament, das bei einer Krankheit wirkt, für die es nicht zugelassen ist oder das man bei einem Tier benötigt, für das es nicht zugelassen ist; also darf man es nicht einsetzen.

Es entsteht der sogenannte Therapienotstand. Deshalb dürfen Tierärzte bei Therapienotstand Medikamente umwidmen, d.h. für andere Tierarten oder andere Indikationen einsetzen, für die sie eigentlich nicht zugelassen sind. Wie das vonstattengeht, regelt die Umwidmungskaskade.

Aber Homöopathika bilden eine Ausnahme…

Ja, da homöopathische Arzneimittel ohne Indikation registriert sind und nicht dem Zulassungsverfahren unterliegen, waren sie von der Umwidmungskaskade immer schon ausgeschlossen. Ohne Indikation gibt’s auch keinen Therapienotstand, also auch keine Umwidmungskaskade. Hier bestand die rechtliche Grauzone, die von nicht-Tierärzten genutzt werden konnte – auch im Nutztierbereich. Mit dem neuen Gesetz ist diese allerdings nicht mehr vorhanden.

Und wie geht das jetzt weiter?

Fest steht, ein neues Tierarzneimittelgesetzt ist in Vorbereitung und wird vieles neu regeln und zusammenbringen.

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Das Gespräch führte Christoph Trapp.