Ist der Einsatz von Homöopathie eine sinnvolle Therapiestrategie zur Reduktion von Antibiotika-Verschreibungen in der ambulanten Versorgung?
Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte (Stand Februar 2019)
Hintergrund: In Deutschland erkranken 400.000 bis 600.000 Patienten pro Jahr an Krankenhausinfektionen. Zunehmend werden durch multiresistente Erreger verursachte Infektionen auch ambulant erworben. Infektionen durch resistente Bakterien sind immer schwieriger zu therapieren, für die Betroffenen verlängert sich dadurch die Behandlungsdauer und die Risiken von Nebenwirkungen. Folgen sind erhöhte Mortalität und hohe Behandlungskosten [1].
Die Hauptursache für die Zunahme von Antibiotika-Resistenzen sind die unsachgemäße Verordnung und Anwendung von Antibiotika in der klinischen Versorgung sowie Mängel in der Hygiene. Der sachgerechten Verordnung von Antibiotika durch Ärztinnen und Ärzte oder Tierärztinnen und Tierärzte kommt daher eine entscheidende Rolle bei der Verminderung des Selektionsdrucks und der Sicherung von Therapieoptionen zu [1].
In Deutschland erhalten beispielsweise nach wie vor mehr als 50 Prozent der Patienten mit einer akuten Bronchitis Antibiotika. Die Einführung einer verzögerten Verschreibungsstrategie durch Abwarten und Wiedervorstellung nach 3 Tagen reduzierte in Studien die Verschreibungshäufigkeit auf unter 40 Prozent. Dabei sind in 90 Prozent der Fälle die Atemwegsinfektionen durch Viruserkrankungen bedingt – Antibiotika machen hier also meist gar keinen Sinn. Es liegt vielmehr eine Überverschreibung vor, die erhebliche Risiken mit sich bringt [2, 3, 4].
Bisher fehlen innerhalb der offiziellen staatlichen Strategien gegen Überverschreibungen von Antibiotika und den damit verbundenen Resistenzen die Untersuchung und Anwendung komplementärer und alternativer Therapien (CAM-Therapien) zur Symptombekämpfung und Behandlung von Infektionen. Auch CAM-Präventionsstrategien zur Verringerung des Einsatzes von Antibiotika werden noch nicht berücksichtigt, obwohl Beobachtungsstudien in Europa gezeigt haben, dass CAM-Therapien und -Krankenhäuser im Vergleich zu konventionellen Klinikern niedrigere Antibiotika-Verordnungsraten aufweisen [5, 6, 7].
Welchen Beitrag kann die Homöopathie zur Senkung der Verschreibungshäufigkeit von Antibiotika leisten? Homöopathische Ärzte und auch Ärzte der anthroposophischen Medizin (die homöopathisch potenzierte Arzneimittel anwenden) verschreiben sehr deutlich weniger Antibiotika bei akuten Infektionskrankheiten. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse aus bisherigen Studienergebnisse vorgestellt und Konsequenzen abgeleitet.
Stand des Wissens: Mehrere pragmatische Beobachtungsstudien und auch randomisierte klinische Studien haben Homöopathie mit konventioneller Medizin hinsichtlich Effektivität und Verbrauch von Antibiotika und anderen konventionellen Medikamenten untersucht. Die aktuellste und derzeit größte Studie ist die EPI3-Kohortenstudie, eine landesweite bevölkerungsbezogene Studie mit einer repräsentativen Stichprobe von 825 Hausärzten und ihren Patienten in Frankreich (2007-2008). 518 Erwachsene und Kinder mit Infekten der oberen Atemwege wurden einbezogen (79,3% Rhinopharyngitis). Im Gegensatz zu Patienten der konventionellen Hausärzte zeigten Patienten von homöopathischen Hausärzten einen signifikant geringeren Verbrauch von Antibiotika (Odds Ratio (OR) = 0,43, 95% Konfidenzintervall (CI): 0,27-0,68) und fiebersenkenden/antientzündlichen Medikamenten (OR = 0,54, 95% CI: 0,38-0,76) mit zugleich vergleichbarem klinischen Symptomenverlauf der Infekte (OR = 1,16, 95% CI: 0,64-2,10). Patienten, die sich dafür entschieden, homöopathisch zertifizierte Hausärzte aufzusuchen, nahmen also halb so viel Antibiotika und fiebersenkende/entzündungshemmende Medikamente ein, als Patienten von konventionellen Hausärzten bei ähnlichen klinischen Ergebnissen [8].
Ähnlich niedrige Verschreibungsraten von Antibiotika bei guten klinischen Ergebnissen wurden auch in weiteren homöopathischen Studien berichtet [9, 10]. Darüber hinaus ergeben sich auch gesundheitsökonomisch relevante Einsparungspotentiale (ebenfalls bei ähnlich guten klinischen Effekten), wenn die homöopathische Behandlung mit der konventionellen antibiotischen Therapie bei Kindern verglichen wird [11].
In einer randomisierten pragmatischen Studie [12] wurden Kindern im Alter von 6 Monaten bis 11 Jahren – bei denen eine akute Mittelohrentzündung diagnostiziert wurde und die mit einem verzögerten Antibiotika-Ansatz behandelt werden sollten – nach dem Zufallsprinzip mit Standardtherapie allein oder mit Standardtherapie plus sofort verschriebenen homöopathischen Ohrentropfen behandelt. Das Ergebnis: Die Antibiotika-Verschreibungen bei Kindern, die homöopathisch behandelt wurden, waren deutlich reduziert im Vergleich zur Gruppe ohne homöopathische Behandlung (Verschreibungsrate 26,9% versus 41,2%, P =0,032).
Die Autoren schließen daraus, dass homöopathische Ohrentropfen den Einsatz von Antibiotika bei Kindern mit Mittelohrentzündung, die mit einem verzögerten Antibiotika-Ansatz behandelt werden, wirksam reduzieren. Die Studie ist besonders interessant, weil sie die bereits empfohlene und validierte verzögerte Antibiotikaverschreibung mit der Anwendung homöopathischer Arzneimittel kombiniert.
Konsequenzen: Bisherige klinische Studien legen nahe, dass durch ein homöopathisches Behandlungssetting der Einsatz von Antibiotika in der ambulanten Versorgung deutlich vermindert werden kann. Die bisherigen Studien lassen im Vergleich zu konventionell behandelten Patienten auf ein Einsparpotential von ca. 50 % schließen. Strategien zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen sollten vor diesem Hintergrund komplementärmedizinische Therapieansätze wie die Homöopathie integrieren und weiter in hochwertigen Studien untersuchen, beispielsweise in pragmatische RCTs und Comaparative Effectiveness Trials.
Referenzen
[1] Bundesministerium für Gesundheit: DART – Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie. Berlin 2011
[2] Smith SM, Fahey T, Smucny J, et al. Antibiotics for acute bronchitis. Cochrane Database Syst Rev. 2014;3:CD000245.
[3] Carl Llor & Lars Bjerrum. Antibiotic prescribing for acute bronchitis, Expert Review of Anti-infective Therapy 2016; 14:7, 633-642
[4] Spurling GK, Del Mar CB, Dooley L, Foxlee R, Farley R. Delayed antibiotic prescriptions for respiratory infections. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Sep 7;9:CD004417
[5] Hamre, H.J., et al., Anthroposophic vs. conventional therapy of acute respiratory and ear infections. Wiener Klinische Wochenschrift, 2005. 117(7-8): p. 256-268.
[6] Kok, E.T., et al.. Resistance to antibiotics and antifungal medicinal products: can complementary and alternative medicine help solve the problem in common infection diseases? The introduction of a dutch research consortium. Evid Based Complement Alternat Med, 2015. 521584
[7] Baars EW, Belt-van Zoen E, Breitkreuz T, et al., “The Contribution of Complementary and Alternative Medicine to Reduce Antibiotic Use: A Narrative Review of Health Concepts, Prevention, and Treatment Strategies,” Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, vol. 2019, Article ID 5365608, 29 pages, 2019.
[8] Grimaldi-Bensouda L, Bégaud B, Rossignol M, Avouac B, Lert F, Rouillon F, Bénichou J, Massol J, Duru G, Magnier AM, Abenhaim L, Guillemot D. Management of upper respiratory tract infections by different medical practices, including homeopathy, and consumption of antibiotics in primary care: the EPI3 cohort study in France 2007-2008. PLoS One. 2014 Mar 19;9(3):e89990.
[9] Riley D, Fischer M, Singh B, Haidvogl M, Heger M. Homeopathy and conventional medicine: an outcomes study comparing effectiveness in a primary care setting. J Altern Complement Med. 2001 Apr; 7(2):149-59.
[10] Hamre HJ, Glockmann A, Schwarz R, Riley DS, Baars EW, Kiene H, Kienle GS.Antibiotic Use in Children with Acute Respiratory or Ear Infections: Prospective Observational Comparison of Anthroposophic and Conventional Treatment under Routine Primary Care Conditions. Evid Based Complement Alternat Med. 2014; 2014:243801.
[11] Trichard M, Chaufferin G, Nicoloyannis N. Pharmacoeconomic comparison between homeopathic and antibiotic treatment strategies in recurrent acute rhinopharyngitis in children. Homeopathy. 2005 Jan; 94(1):3-9.
[12] Taylor JA, Jacobs J. Homeopathic Ear Drops as an Adjunct in Reducing Antibiotic Usage in Children With Acute Otitis Media. Glob Pediatr Health. 2014 Nov 21;1:2333794X14559395.