Berlin, 23. August 2022. Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) hat sich für Homöopathie und gegen eine vorläufige Entscheidung der Landesärztekammer Baden-Württemberg ausgesprochen, die Weiterbildung Homöopathie abzuschaffen. Das hat ihm viel Gegenwind eingebracht. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) begrüßt Luchas Stellungnahmen und liefert zur Unterstützung Fakten zur Homöopathie.

Die Neue Züricher Zeitung hat kürzlich darauf hingewiesen, dass sich in den letzten Jahrzehnten zwischen moderner und alternativer Medizin ein „aufgeschlossenes Verhältnis“ entwickelt habe. Das stimmt einerseits, aber jede Münze hat zwei Seiten.

Die eine: Es gibt zahlreiche hochqualifizierte Einrichtungen im Klinik- und Ambulanzbereich, die ernsthaft und konsequent auf wissenschaftlicher Basis komplementäre Therapiemethoden in ihre individuellen Behandlungskonzepte einbeziehen, beforschen und dabei pathogenetische und salutogenetische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen. Dies entspricht nicht zuletzt dem Wunsch großer Teile der Bevölkerung und wird durch spezifische ärztliche Weiterbildung gewährleistet. Die Therapiesicherheit steht dabei ohne jede Frage im Zentrum jeder ärztlichen Bemühung

Die andere: Es gibt Stimmen, die alles ablehnen und teilweise mit missionarischem Sendungsbewusstsein bekämpfen, was sich nicht unmittelbar einem – inzwischen inflationär gebrauchten – Evidenzbegriff unterordnen lässt. Dabei wird die im Grunde wünschenswerte Evidenzbasierung oft genug sinnentstellend interpretiert, indem ausschließlich die externe Evidenz („Studien“) in den Fokus gerückt, die interne Evidenz („ärztliche Erfahrung“) sowie die Patientenwünsche ignoriert werden. Im Zentrum dieser selektiven Wahrnehmung steht seit Jahren die Homöopathie. Und deren Anwender werden wahlweise als „Flacherdler“, „Voodoo-Mediziner“, „Esoteriker“ oder ewig gestrige Wissenschaftsverächter denunziert.

Vor diesem Hintergrund bedarf es einiger grundsätzlicher Klarstellungen:

1. Homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte sind akademisch ausgebildet, vertreten, wo immer möglich, eine wissenschaftsbasierte Medizin, sind Teil einer Ärzteschaft, die den facharztübergreifenden Austausch sucht, vertreten ein kollegiales Miteinander im Interesse der Patientinnen und Patienten und haben – im Gegensatz zu ihren Kritikern – keine Berührungsängste gegenüber den Vertretern der konventionellen modernen Medizin.

2. Homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte akzeptieren Evidenzbasierte Medizin, sofern alle drei Säulen der Sackett‘schen Definition im Fokus bleiben. Dies bedeutet nicht Beliebigkeit in der Fokussierung auf die eine oder andere der drei Säulen. Es bedeutet vielmehr, bei jedem einzelnen Kranken abzuwägen, welche der Teilaspekte im Interesse von Sicherheit und Würde des/der individuellen Patient:in im Vordergrund zu stehen haben. Im Übrigen: Für viele, gerade ältere und unter Umständen multimorbide Patient:innen existieren keine evidenzbasierten Therapieleitlinien, sodass in diesen Fällen ohnehin und oft genug die Patientenpräferenz und ärztliche Erfahrung den Ausschlag geben muss.

3. Placebo-Effekte finden sich in allen Bereichen der Medizin und sollten aus Sicht der noch relativ jungen Placebo-Forschung auch explizit genutzt werden. Selbstverständlich treten auch in der Homöopathie solche Effekte auf, aber ausgebildete und erfahrene homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte können im Einzelfall an der mitunter überraschenden, teilweise auch zunächst widersprüchlichen oder sogar „falschen“ Patient:innen-Reaktion ausreichend sicher unterscheiden, ob es sich um eine reine Placebo-Reaktion handelt oder um eine Arzneimittelwirkung. Diese Beurteilung setzt freilich mehr als bloß theoretische oder auch ideologisch verkrampfte Auseinandersetzung mit Homöopathie voraus.

4. Die Grundlagenforschung zur Homöopathie hat in den letzten Jahren reproduzierbare Ergebnisse in Pflanzen- und Tiermodellen geliefert, die eindeutig jenseits mutmaßlicher Placebo-Reaktionen liegen und die prinzipielle Wirksamkeit auch höher potenzierter Wirkstoffzubereitungen belegen. Was also „eigentlich“ gar nicht sein kann, lässt sich im wissenschaftlichen Experiment nachweisen. Für manche Kritiker:innen der Homöopathie sind solche Ergebnisse störend und werden flugs als irrelevant relativiert. Wissenschaft wäre, verstehen zu wollen, wie das sein kann.

5. Die Versorgungsforschung hat wiederholt die alltagspraktische Relevanz des komplementären Einsatzes von Homöopathie gezeigt. Wenn sich unter homöopathischer Therapie z.B. Antibiotika nachweislich einsparen lassen, dann wäre es eine fatale Fehlentscheidung, dies vor dem Hintergrund bedrohlicher Resistenzentwicklungen allein aus prinzipiellen theoretischen Überlegungen nicht zu tun! Ähnliches gilt für Einsparung von Psychopharmaka und Schmerzmitteln, und sogar Krankentage und Liegezeiten in Kliniken lassen sich reduzieren. Solche Resultate gehören somit auch in jede gesundheitsökonomische Güterabwägung!

6. Der aktuelle Diskurs rund um Homöopathie lässt auf Seiten der Kritiker Augenmaß und intellektuelle Redlichkeit Auffällig dabei: Die Anti-Homöopathie-Protagonist:innen – wir können sie auch als Kampagnenführer:innen bezeichnen – haben fern eigener wissenschaftlicher Tätigkeit zum Thema nie irgendwelche eigenen konstruktiven Beiträge zur wissenschaftlichen Datenbasis beigetragen, und viele Medien haben deren meist destruktiven Argumentationsduktus zumeist ungefiltert übernommen. Die Folge: Argumente werden nur noch selten gehört, berücksichtigt oder abgewogen, sondern lediglich mantraartig wiederholt.

7. Ein Wort noch zu den Patientinnen und Patienten, die ja eigentlich im Mittelpunkt aller Überlegungen und damit am Anfang stehen sollten: Aufgeklärte Menschen können in Zeiten von Google und Co. sich jederzeit über Medikamente, Nebenwirkungen, Alternativen, Experten und eben auch über Homöopathie informieren. Und die Nachfrage nach und Zufriedenheit mit homöopathischen Arzneimittel ist hoch. Wenn Menschen sich also für Homöopathie – komplementär oder integrativ – entscheiden, dann tun sie dies zumeist aus Erfahrung, Überzeugung, Empfehlungen oder auch aus Frustration wegen ihrer Erfahrungen in der konventionellen Medizin.

Das spricht nicht gegen letztere, aber auch nicht gegen Homöopathie! Die vielbeschworene „Gefahr“, die für angeblich uninformierte Patientinnen und Patienten von der Homöopathie ausgeht, ist ein selbstgeschnitztes Scheinargument mit dem Ziel der Verunsicherung. In ärztlicher Hand ist Homöopathie eine sichere Ergänzung des therapeutischen Werkzeugkastens und somit Teil einer breit angelegten und wissenschaftlich begleiteten Integrativen Medizin.