Mit einem Konsenspapier zur Homöopathie in der medizinischen Versorgung wenden sich 10 Expert*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen, etwa der Pharmakologie, der Gesundheitsökonomie und verschiedenen medizinischen Fachrichtungen, an die Öffentlichkeit. Ihr Papier erschien jüngst in der Zeitschrift Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement (26/2021) des Thieme Verlags. Initiiert wurde das Konsenspapier von Prof. Dr. med. André-Michael Beer, Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Ruhr-Universität Bochum. Im Interview (siehe unten) plädiert Prof. Beer „für ein Umdenken in der Medizin hin zu einer Integrativen Medizin inklusive der Homöopathie.“ Die Mitautor*innen erklären anschaulich jeweils aus ihren Gebieten, warum die Homöopathie eine wissenschaftlich fundierte, sozioökonomisch sinnvolle und vor allem therapeutisch wirksame Methode ist. Im Interview stellt Prof. Beer fest:

„Es liegen genügend aussagekräftige Studien für akute und chronische Erkrankungen vor, die eine Wirksamkeit der homöopathischen Therapie im Placebo Vergleich belegen und die in wissenschaftlichen hochrangigen Zeitschriften publiziert sind. Zudem bestätigt die ärztliche Erfahrung jeden Tag aufs Neue, dass wir es nicht mit einem Placebo zu tun haben.“

Zum Konsenspapier zur Homöopathie in der medizinischen Versorgung.

Interview mit Prof. Beer über das Konsenspapier Homöopathie in der medizinischen Versorgung

Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Hattingen / Lehrbereich Naturheilkunde, Ruhr-Universität Bochum

10 Professoren, 10 Statements über die Homöopathie in der Versorgung. Warum haben Sie dies initiiert?

Wir beobachten, dass Therapien der sog. integrativen Medizin, also einer Medizin, die Naturheilkunde mit der Schulmedizin verbindet, immer wieder in die Kritik geraten, obwohl die Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfüllt werden.  Die Homöopathie gehört zur integrativen Medizin dazu. Die ärztliche Zusatzqualifikation zur Homöopathie wurde in einigen Bundesländern gestrichen, so dass Ärzte heute diese Qualifikation nicht mehr erlangen können. Der Entscheidungsprozess hierfür war wissenschaftlich kaum nachvollziehbar. Entsprechende fundierte Stellungnahmen liegen hierzu nicht vor. Der Pluralismus unserer Medizin, die „Therapiefreiheit“ steht damit in Gefahr, denn der Arzt muss sich am jeweils aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren und die gebotene Sorgfalt walten lassen. Dies kann er aber nur, wenn er sich regelmäßig fort- und weiterbildet.  Es ist jetzt dringend an der Zeit sich um eine Versachlichung der Diskussion zu bemühen. Mit den 10 Statements zur Homöopathie möchten wir zur Fachdiskussion einladen und dafür die inhaltliche Basis legen. Ziel des Positionspapiers ist es, wissenschaftliche Fakten in die Diskussionen über die Relevanz der Homöopathie für die Gesundheitsversorgung einzubringen. Ich selbst befasse mich als konventioneller Mediziner vornehmlich mit den sog. „klassischen Naturheilverfahren“ in Patientenversorgung, Forschung und Lehre und verfüge selbst nicht über die Zusatzqualifikation „Homöopathie“, setze aber in der Klinik die Homöopathie durchaus ein, da es Situationen gibt bei denen wir schlecht beraten wären, wenn wir diese wertvolle Therapieoption nicht nutzen würden.

Homöopathie ist Teil der integrativen Medizin, schreiben Sie. Welche Daten sprechen dafür?

Wir zeigen in dem Positionspapier, dass auch die Homöopathie die Kriterien der Evidenz basierten Medizin erfüllt. Das sind die externe Evidenz durch Studien, die Erfahrung des Arztes und die Präferenz der Patienten – somit ist die Homöopathie ein Baustein eines integrativen Behandlungskonzeptes.

Wie passt das zusammen: einerseits die Notwendigkeit von Leitlinien und dann die absolute individualisierte Homöopathie?

Ein überzeugendes Beispiel ist die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“. Der Homöopathie wurde hier der Evidenzlevel 2b zugesprochen, d.h., dass die Therapie nach aktueller Studienlage als optional anwendbar eingesetzt werden kann. In der Begründung heißt es:

„Es liegen Daten aus einer RCT zum Einsatz von klassischer Homöopathie vor. …aufgrund der stark positiven Ergebnisse dieser Studie [kann] der Einsatz von klassischer Homöopathie (Erstanamnese in Kombination mit individueller Mittelverschreibung) zur Verbesserung der Lebensqualität bei onkologischen Patienten zusätzlich zur Tumortherapie erwogen werden“. Wir müssen auf die Praxis schauen, hier hat die Homöopathie sehr gute Erfolge. Wir sehen, dass dies auch begleitend zur konventionellen Therapie ein gutes Konzept ist.

Das Wirkmodell der Homöopathie bezeichnen Sie in Ihrem Positionspapier als plausibel – warum?

Die homöopathische Behandlung verfolgt das Ziel, die körpereigene Regulation und Selbstheilungskräfte anzuregen sowie physiologische Funktionen wiederherzustellen – und dieses Prinzip ist plausibel. Auch in klassischen Naturheilverfahren und anderen medizinischen Therapien ist das Reiz-/Regulationsprinzip bekannt und vor allem anerkannt. Im Übrigen ist der Wirkstoff bei niedrigeren Potenzen nachweisbar. Zum Wirkmechanismus der höheren Potenzen gibt es vielversprechende Hypothesen, die jedoch noch bewiesen werden müssen.

Der Homöopathie wird von Kritikern nachgesagt, sie habe keine Wirkung über Placebo hinaus. Was erwidern Sie?

Es liegen genügend aussagekräftiger Studien für akute und chronische Erkrankungen vor, die eine Wirksamkeit der homöopathischen Therapie im Placebo Vergleich belegen und die in wissenschaftlichen hochrangigen Zeitschriften publiziert sind. Zudem bestätigt die ärztliche Erfahrung jeden Tag aufs Neue, dass wir es nicht mit einem Placebo zu tun haben. Ich sage immer: „Wenn es ein Placebo wäre, dann wäre es ein hervorragendes Placebo“.

Homöopathische Arzneien können in der Therapie alternativ oder begleitend wirksam eingesetzt werden und machen auch sozioökonomisch Sinn. Warum haben die Studien, mit denen Sie diese Aussagen belegen, in der Öffentlichkeit einen so schwierigen Stand?

Die „Öffentlichkeit“ liest und bewertet keine Studien. Das Regelwerk der wissenschaftlichen Gemeinschaft besagt u.a., dass Studien in einer Fachzeitschrift nur publiziert werden dürfen, soweit mehrere unabhängige Gutachter die Studien bewertet haben und diese dann zur Veröffentlichung freigegeben werden – oder, je nach Ergebnis des Gutachterprozesses, nicht. Einem solchen Verfahren unterliegen selbstverständlich auch die Studien zur Homöopathie, die in Fachjournalen schon publiziert wurden. Damit besteht für die wissenschaftliche Welt die Sicherheit, dass die Studie aussagekräftig ist. Innerhalb der wissenschaftlichen Community dürfen solche Veröffentlichung natürlich nochmal kritisch diskutiert werden. Dies ist aber keine Diskussion vor einer Öffentlichkeit, die damit nicht vertraut ist.  Nicht jeder hat die Kompetenz das zu beurteilen. Dafür sind jahrelange Prozesse auch auf den einzelnen Fachgebieten notwendig und dies gilt auch für die Naturheilkunde. Es ist leider so, dass das Regelwerk der wissenschaftlichen Community heute von sog. Experten, also letztlich die Basis, die weltweit als Grundlage unserer wissenschaftlichen Arbeit gilt, in Frage gestellt wird. Es sind auf diesen Wegen immer wieder Fehlinformationen über die Homöopathie in den Laiennetzwerken gestreut worden, ohne wissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Homöopathie ist fest im Volk verankert und die Bevölkerung steht laut Umfragen mehrheitlich zur Homöopathie. In vielen Medien wird oft aber ein anderes Bild vermittelt: Ich denke, dass gerade Politiker und Entscheider bei den Krankenversicherungen unsere sozioökonomischen Daten und das Positionspapier daher aufmerksam lesen werden.

Therapiefreit in einem pluralistischen Medizinsystem sind hohe Werte für Sie – was verbinden Sie damit?

Der Begriff der „Therapiefreiheit“ beschreibt, dass einem Arzt aufgrund seiner fachlichen Kompetenz die freie Wahl der Behandlungsmethode zusteht, die er dem Patienten vorschlagen will. Allerdings muss er sich dabei am jeweils aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren und die gebotene Sorgfalt walten lassen. Dies kann er aber nur, wenn er sich entsprechend weiterbilden kann.

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Herr Prof. Beer, vielen Dank für das Interview

Das Interview führte Christoph Trapp