Berlin, 11. November 2025. „Homöopathie richtet schließlich keinen Schaden an… – Was ist dran am Mythos von der harmlosen Naturmedizin?“ Mit diesem Titel erschien am 7. November 2025 ein Beitrag von Dr. med. Janos Hegedüs, Internist, in der Medcial Tribune. Eine Replik auf den Beitrag wurde von Dr. med. Ulf Riker, Internist und 2. Vorsitzenden des DZVhÄ, verfasst.
Der Beitrag erhebt Dr. Hegedüs, Internist und „Aufklärer“, in den Rang eines Experten in Sachen Homöopathie. Wobei er ganz offensichtlich weder eine entsprechende Ausbildung noch eigene Praxiserfahrung vorzuweisen hat. Seine Wahl zum Interviewpartner macht deutlich, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit Homöopathie seitens der Medical Tribune nicht vorgesehen war. Das Auswahlkriterium war erkennbar, Informationen so zu suchen und zu interpretieren, dass sie den mutmaßlich vorbestehenden redaktionellen Überzeugungen und Erwartungen entsprechen. – Im Wissenschaftsbetrieb nennt man das Confirmation Bias. Die Antworten decken sich auf recht banale und teilweise infantilisierende Weise mit den Narrativen der gegen Homöopathie zu Felde ziehenden Skeptikerbewegung.
Eine Gegendarstellung auf Augenhöhe
Im Sinne ausgewogener Berichterstattung sei es gestattet, eine Gegendarstellung zu den Interviewfragen vorzulegen. Der Autor der Antworten ist ebenfalls Internist, allerdings mit Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Naturheilverfahren. Außerdem kann er auf ca. 35-jährige Praxiserfahrung mit Homöopathie als Bestandteil einer integrativen Medizin und individueller Therapieplanung auf den Boden evidenzbasierter Medizin blicken.
Fakt oder Mythos? „Homöopathie ist Naturmedizin“
Jede Form der Medizin greift auf die eine oder andere Weise in Prozesse der Natur ein: auf molekularer Ebene (Molekül-Rezeptor-Interaktion), physikalisch (Reiz-Reaktions-Modell), emotional-interaktiv (Psychotherapien), mechanisch (Operationen), manchmal sogar ohne sichere Kenntnis eines Wirkprinzips oder auf Basis von Studien ohne besonders hohen Evidenzgrad.
Naturmedizin nutzt in erster Linie diätetische oder physikalische Heilmethoden (Fasten, Kneipp-Anwendungen), aber auch Pflanzenextrakte (pharmakologische Wirkung) sowie Regulierung und Modifikation der Lebensweise (Ordnungstherapie). Homöopathie beruht auf einem phänomenologischen Ansatz: potenzierte Arzneien kommen nach dem Ähnlichkeitsprinzip zum Einsatz und wirken vermutlich ebenfalls auf einem naturbasierten Reiz-Reaktionsprinzip – dessen spezielle Natur aber noch nicht entschlüsselt ist.
Die Tatsache, dass homöopathische Arzneien in höheren Potenzen nur noch wenige oder gar keine Moleküle der Ausgangssubstanz (Salze, Mineralien, Pflanzen, tierische Produkte etc.) enthalten – und dennoch wirken! – erklärt die Gegnerschaft gegen die Methode. Dabei wird vorausgesetzt, dass es jenseits einer rein materialistischen Natursicht keine weiteren Hypothesen und schon gar keine Erfahrungen geben kann, die mit dieser Grundüberzeugung nicht in Einklang stehen.
Patienten verwechseln Homöopathie nur selten mit Naturmedizin. Wenn es dennoch vorkommt, lässt sich das Missverständnis rasch klären. Entscheidend ist, dass sich jede Form der Medizin, ob „Schulmedizin“, „Naturmedizin“ oder Homöopathie an ihren ganz konkreten und objektiven Therapieergebnissen messen lassen muss.
Fakt oder Mythos? „Die Patientinnen und Patienten wollen Homöopathie, weil sie gute Erfahrungen damit gemacht haben“
Patientinnen und Patienten möchten vor allem eines: ihre Beschwerden los und einfach wieder gesund werden. Dazu brauchen sie keine theoretischen, weltanschaulichen Belehrungen oder YouTube-Videos mit inhaltlicher Schlagseite, sondern Ärztinnen und Ärzte mit fundierter Ausbildung, Erfahrung und der Bereitschaft, auf Augenhöhe die in Frage kommenden Therapieoptionen zu besprechen. Dabei geht es nicht um wiederkehrenden Schnupfen oder ein wundgescheuertes Knie, sondern um akute oder chronische Krankheiten, für die es evidenzbasierte Therapie-Leitlinien gibt, aber oft auch andere Möglichkeiten der Behandlung. Wenn unter Homöopathie eine Neurodermitis ausheilt, eine Allergie oder eine Migräne verschwindet, ein Bluthochdruck nur noch die Hälfte der bisher notwendigen Medikamente braucht oder Antibiotika überflüssig werden, weil sich die Immunität stabilisiert hat, dann wäre es zynisch, solche positiven Erfahrungen kopfschüttelnd ins Reich der Phantasie oder des Glaubens an Übersinnliches zu verweisen. Respekt lässt sich nicht durch Dogmatismus ersetzen!
Fakt oder Mythos? „Wer homöopathische Mittel nehmen will, soll das tun: Es schadet schließlich nicht“
Ärzte, auch homöopathisch zusatzqualifizierte, sind einer Medizin-Ethik verpflichtet, die fordert: erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen. In diesem Sinne erwarten Patienten sorgfältige Aufklärung über Möglichkeiten, mögliche Nebenwirkungen und Grenzen einer Methode. Das gilt selbstverständlich auch für die Homöopathie. Unter Umständen kann das bedeuten, dem Wunsch nach „alternativer“ homöopathischer Behandlung auch zu widersprechen. Unter der Obhut von Ärzten, die auf dem Boden evidenzbasierter Medizin stehen und sich ihrer Verantwortung bewusst sind läuft das Narrativ von „esoterischem Irrglauben“ oder dem Abgleiten „in eine Welt von Verschwörungserzählungen, Lügen und Scharlatanen“ ins Leere! Unterstellungen wie „Homöopathie vergiftet den Geist der Menschen“ sind bestenfalls Unfug, vielleicht auch Ignoranz, schlimmstenfalls bösartige Polemik und ärztlicher Profession unwürdig.
Fakt oder Mythos? „Die Wirkung von Homöopathie ist nur noch nicht beweisen, weil die Industrie nicht an Studien interessiert ist“
Wer als Arzt oder Ärztin zusätzlich Homöopathie praktiziert, ist deswegen noch lang kein Gegner der konventionellen Medizin oder der „Industrie“. Ähnliches gilt für Patientinnen und Patienten, die Homöopathie als Ergänzung und wenn möglich als Alternative wünschen. Es ist sogar genau andersherum: dass Homöopathie wirkt, und zwar eindeutig über den Placebo-Effekt hinaus wurde in den letzten 10 – 15 Jahren in zahlreichen und hochkarätigen Arbeiten aus der Grundlagenforschung, der Versorgungsforschung sowie in klinischen Studien belegt. Diese Arbeiten brauchen hinsichtlich ihrer Methodik und Auswertung den Vergleich mit Studien aus der konventionellen Medizin nicht zu scheuen. Wer ihnen dennoch jeglichen Wert abspricht ist entweder selbst gar nicht an den Ergebnissen interessiert (weil sie den eigenen Überzeugungen widersprechen) oder misst mit zweierlei Maß. Beides entbehrt wissenschaftlicher Solidität. Dass Homöopathie „allen fundamentalen Erkenntnissen der Naturwissenschaft widerspricht“ unterstellt, alles Erforschbare wäre heute final geklärt und es gebe ab sofort keine weiteren erwartbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Überraschungen mehr. Das ist das Gegenteil dessen, was jüngst ein Vertreter der sog. „Skeptiker“ angemahnt, aber sich selbst und seine Clique natürlich davon ausgenommen hat: „Epistemologische Bescheidenheit“!
Fakt oder Mythos? „Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker praktizieren eine sanfte, ganzheitliche Medizin, „Schulmediziner“ eine nebenwirkungsreiche Medizin“
Die meisten Ärzte haben – sofern es die Strukturen unseres Gesundheitssystems zulassen – den Anspruch auf ganzheitliches Therapieren, wirksame Medikamente haben Nebenwirkungen, und qualifizierte HeilpraktikerInnen arbeiten im Idealfall mit Haus- oder Fachärzten zusammen. Nichts von alledem hat zunächst mit Homöopathie zu tun, und die fiktive Meinungsäußerung polarisiert in unnötiger Weise. Denn oberstes Ziel von ÄrztInnen und HeilpraktikerInnen muss die Therapiesicherheit für die Patienten sein. Wenn es in gemeinsamer Anstrengung gelingt, Nebenwirkungen einer Therapie durch Homöopathie zu reduzieren oder eine allopathische Medikation im Einzelfall auch komplett überflüssig zu machen, dann festigt dies das Vertrauen in die jeweiligen BehandlerInnen, fördert die Compliance mündiger Patientinnen und sorgt so für bestmögliche Behandlungserfolge. Eine win-win-win-Situation also!
Fazit
Die permanente Wiederholung einschlägiger Negativ-Narrative zur Homöopathie und die Missachtung oder Negierung aktueller Forschungsergebnisse hat ein einziges Ziel: Homöopathie aus dem Gesundheitssystem, aus der Erstattung und am besten auch gleich aus den Köpfen der Menschen zu eliminieren, freilich ohne auch nur eine einzige Alternative anzubieten.
Homöopathie ist evidenzbasierte Medizin: Patienten wünschen sie, qualifizierte Ärztinnen und Ärzte bieten Wissen und Erfahrung (interne Evidenz) und wissenschaftliche Studien (externe Evidenz) belegen eine Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus. Daher muss für wirksame, aber frei verkäufliche Arzneien die Apothekenpflicht und damit die Beratung erhalten bleiben, damit auch bei Selbstmedikation die Patientensicherheit gewährleistet ist.
Dass Homöopathie „Schaden anrichten“ kann – durch Unterlassung oder Verzögerung einer anderen indizierten Therapie – wurde bislang nie in relevanter Weise belegt, müsste im Falle der Objektivierung allerdings auch in Relation zu einer in Deutschland fünfstelligen Zahl jährlichen Todesfällen durch Medikamentennebenwirkungen gesetzt wird.
Der Autor
Dr. Ulf Riker (72) – Internist (Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Naturheilverfahren) auf Basis der EbM – mehrjährige Klinikleitung – seit 25 Jahren in eigener Praxis niedergelassen – verschiedene Vorstandstätigkeiten im DZVhÄ und dem Landesverband Bayern – langjährige Dozententätigkeit in Homöopathie für Ärzte und Apotheker.