Brief an die BÄK zur Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie

Mit Unverständnis haben wir die Entscheidung des 126. Deutschen Ärztetages zur Kenntnis genommen. Sowohl das formale Prozedere der Abstimmung als auch die Begründung des Entscheides sind für uns als ärztliche Kolleg:innen nicht nachvollziehbar.

Deshalb legen wir im Folgenden unseren offenen Protest ein:

Formales

„Die Einberufung zum ordentlichen Ärztetag soll mindestens vier Wochen vor dem Ärztetag unter Bekanntgabe der Tagesordnung ergehen“, so steht es in § 2.1 der Geschäftsordnung des Ärztetages. Außerdem heißt es dort (§ 7): „Dringende Anträge über Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, müssen […] begründet werden.“

Der Antrag auf Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) wurde erst am Tag der Abstimmung von 7 Delegierten gestellt (siehe Beschlussprotokoll, ein Wortprotokoll über den Hergang der Abstimmung liegt uns nicht vor). Die besondere Dringlichkeit des Antrages wurde laut Beschlussprotokoll nicht begründet.

Eine solche war auch nicht gegeben, weil das Thema bereits seit dem 122. Deutschen Ärztetag in Erfurt auf der Agenda stand (damals mit einem Votum für den Erhalt der Homöopathie in der MWBO), alle Landesärztekammern bereits ihre eigenen Entscheidungen getroffen hatten und aktuell auch keine relevanten oder neuen Tatbestände vorlagen, die eine dringende Änderung des Votums von 2018 erforderlich gemacht hätten.

Der Antrag auf Änderung der Muster-Weiterbildungsordnung hätte nach unserer Meinung ob seiner grundsätzlichen und zukünftigen Bedeutung auch nicht unter dem Unterpunkt „Verschiedenes“ in die Tagesordnung des Ärztetages aufgenommen werden dürfen. Als Antrag zur Änderung der Muster-Weiterbildungsordnung hätte dieser TOP gesondert ausgewiesen werden müssen.

Die Dramaturgie des formalen Prozedere war allem Anschein nach bewusst gewählt:

Im „Hauruckverfahren“ das Thema mit dem Minimum notwendiger Stimmen auf die Agenda heben, damit Zeit- und Abstimmungsdruck erzeugen und darauf hoffen, dass unter dem gewaltigen Druck anderer gewichtiger Themen das Thema Homöopathie nebenbei, rasch und endgültig erledigt werden kann.

Wesentlicher Teil dieser Strategie war: eine fachliche und sachliche Auseinandersetzung mit Vertretern der Homöopathie ebenso zu verhindern wie eine kritische Würdigung vorliegender Ergebnisse aus wissenschaftsbasierter Forschung.

Im Handstreich wurde der Sinn einer frühzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnung ausgehebelt, nämlich eine fundierte Auseinandersetzung mit einem zur Abstimmung stehenden Thema überhaupt erst zu ermöglichen.

Die Konsequenz: Eine große Zahl an Delegierten ist ihren eigenen ärztlichen Kolleg:innen in den Rücken gefallen, gerade so, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, Ärzt:innen ihre Seriosität, womöglich sogar Zurechnungsfähigkeit, auf jeden Fall aber ihr Recht auf Anhörung als demokratische Grundvoraussetzung abzusprechen, wenn sie sich der Homöopathie zugewandt haben.

Inhaltliches

Der Antrag auf Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der MWBO wurde pauschal mit dem Fehlen wissenschaftlicher Studien als Beleg für einen evidenzbasierten Einsatz begründet.

Diese Darstellung ist nicht zutreffend!

Eine Anhörung von Vertreter:innen der ärztlichen Fachgesellschaft Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) und von Wissenschaftlern hätte eine Klärung und Korrektur herbeiführen können [1-6]. Eine tatsächliche Beschäftigung mit der aktuellen Studienlage über das reine „Hörensagen“ hinaus hätte womöglich in vielen Fällen zu Kritik und Zweifel am Sinn des Antrages beigetragen. Die Delegierten haben sich hingegen allein auf die seit Jahren stereotyp wiederholten Darstellungen einer kleinen Clique sogenannter Skeptiker bezogen.

Dieses Vorgehen steht einer sachbezogenen und ausgewogenen Meinungsbildung auf dem Boden von Fakten diametral gegenüber. Ein großer Teil der Delegierten hat insofern die Sorgfaltspflicht in der Vorbereitung der Abstimmung verletzt.

Als Anschlussbegründung wird auf das Fehlen wissenschaftlicher Studien hingewiesen, weswegen die Grundsätze fehlten, nach denen in einem kolle­gialen Gespräch der Wissenserwerb in der Weiterbildung überprüft werden könne.

Diese Darstellung ist ebenfalls nicht zutreffend!

Gerade weil zahlreiche Studien (Grundlagenforschung [2,3], Versorgungsforschung [5,6], Eingang in S3-Leitlinie [4]) vorliegen, konnten die kollegialen Prüfungsgespräche vor den Ärztekammern in den letzten Jahren den Anspruch der Wissenschaftlichkeit konkret hinterfragen. Damit wurden die Nachprüfbarkeit der seit Jahrzehnten von den Ärztekammern kontrollierten Curricula einerseits sowie die in Fallseminaren erworbene Qualifikation und Erfahrung hinsichtlich der konkreten Anamneseführung, Fallanalyse und homöopathischer Arzneiwahl sogar optimiert, ihre Plausibilität erhöht und ihre wissenschaftliche Basierung untermauert.

Haben abstimmungsberechtigte Delegierte je an entsprechenden Prüfungen vor den Ärztekammern teilgenommen?

Schlussfolgerung

Vor diesem Hintergrund ist das Votum der Delegierten des 126. Deutschen Ärztetages 2022 in Bremen

  • kurzsichtig, weil es zukünftig genau jene Menschen (durch Vorent­halten einer zukunftssicheren quali­fizierten ärztlichen Homöopathie) bestraft, die schon immer bewusst und durch eigene Bemühungen um Gesund­erhaltung, nicht zuletzt mittels nicht unerheblicher Eigenleistung ihren präventivmedizini­schen und damit auch ökonomischen Beitrag in einem stabilen Patient-Arzt-Setting geleistet haben und auch weiterhin leisten wollen
  • nicht nachvollziehbar, weil Patientenwünsche (Säule 3 der Evidenz­basierten Medizin nach D.L. Sackett) komplett unberücksichtigt bleiben
  • undemokratisch, weil die Bevölkerung bzw. zukünftige Patient:innen zu keinem Zeitpunkt in die Entscheidung einbezogen oder auch nur mitgedacht waren, deren Konsequenzen sie freilich zukünftig zu tragen haben
  • willkürlich, weil die vorhandene wissenschaftliche Datenlage zu Evidenz und Wirksamkeit der Homöopathie komplett ignoriert wurde
  • sicherheitsgefährdend, weil die Integration der Homöopathie in eine lege artis praktizierte ärztliche Patientenversorgung allein aus theoretischen bzw. weltanschaulichen Gründen zukünftig verhindert wird
  • respektlos gegenüber qualifizierten und bewusst integrativ arbeitenden (Fach-)Kolleg:innen.

Als homöopathisch qualifizierte (Fach-)Ärzt:innen sind wir Pflichtmitglieder unserer jeweiligen Ärzte­kammern. Wir verknüpfen unseren begründeten Protest mit der grundsätzlichen Frage, wie Gremien­arbeit, Entscheidungs­findung und Beschlussfassungen zukünftig transparenter, v.a. aber auch faktenbasiert und ideologiefrei gestaltet werden können.

Unser Versprechen

Patientinnen und Patienten werden sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass wir als qualifi­zierte (Fach-)Ärzt:innen größtmögliche Therapie­sicherheit und individuelle Behandlung im Rahmen einer integrativmedizinisch ausgerichteten Versorgung unter besonderer Berücksichtigung der Homöopa­thie gewährleisten!
Das sind wir in erster Linie den Menschen schuldig, aber selbstverständlich auch den Kostenträgern, die Homöopathie im Rahmen ihrer Satzungsleistungen bzw. in Selektivverträgen erstatten und dabei auch die ökonomischen Vorteile einer Therapieform schätzen, nämlich kurative und präventive Behandlungseffekte miteinander zu kombinieren.

Mit freundlichen Grüßen

Der Vorstand des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)

Dr. med. Michaela Geiger, 1. Vorsitzende

Dr. med. Ulf Riker, 2. Vorsitzender

Gerhard Antrup, Vorstand Finanzen

Dr. med. Alexandra Schulze-Rohr, Vorstand Weiterbildung

2022-07-20T09:34:47+02:00

Ärztetag-Delegierter zum Aus der Weiterbildung Homöopathie

Dr. med. Jürgen de Laporte, Hausarzt und Facharzt für Innere Medizin aus Esslingen, berichtet als Delegierter des Deutschen Ärztetags (DÄT, 24. bis 27. Mai 2022) in Bremen über das Aus der Homöopathie in der Musterweiterbildungsordnung. 

Ein Thema, das die Delegierten überraschte, denn es wurde erst kurzfristig auf die Tagesordnung genommen – am Tag zuvor war davon noch keine Rede. Eine inhaltliche Diskussion fand entsprechend nicht statt. Vor der Abstimmung konnte de Laporte spontan nur noch ein kurzes Pro-Homöopathie Statement halten. Vor dem DÄT hatten sich bereits 13 von 17 Landesärztekammern gegen die Zusatzbezeichnung Homöopathie in der neuen Weiterbildungsordnung ausgesprochen.

Dr. de Laporte  betreibt in Esslingen eine hausärztliche Praxis. Er sieht ein grundsätzliches Kommunikationsproblem zwischen konventionell- und komplementärmedizinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten. Er sagt: Die Erfahrungsräume dieser beiden Gruppen sind sehr unterschiedlich. Wahrgenommen wird von der jeweils anderen Gruppe nur das, was schiefläuft. Einig sind sich  beide Gruppen im Ziel, nämlich der gesunde Patient. Aber die Vorstellung darüber, was eine ausreichend gute Konsultation ausmacht, ist verschieden. Die Homöopathie-Kritiker fordern eine ausschließlich wissenschaftlich orientierte Medizin und fokussieren sich auf objektivierbare Diagnosen. Integrativ-Komplementärmedizinisch tätige Ärzt*innen erfragen dagegen die Gesamtheit der Symptome.

Jürgen de Laporte wirft den konventionell tätigen Kolleg*innen fehlende Wertschätzung der Arbeit der Ärzt*innen mit Zusatzbezeichnung Homöopathie vor. “Viele meinen mit dem Thema Globuli das Wesentliche der Homöopathie erfasst zu haben. Dass es sich hierbei um ein anderes, individuelles Menschenbild handelt, in dem Selbstregulation im Mittelpunkt steht, bleibt außen vor.“

Doch de Laporte spart auch nicht mit Kritik an den Kolleg*innen aus der Homöopathie: Nach seiner Einschätzung waren vor allem in den 80er und 90er Jahren viele homöopathisch tätige Ärzt*innen überheblich und meinten, ohne konventionelle Medizin auszukommen. „Sie verkörperten den Anspruch, die besseren Ärzt*innen zu sein und  haben sich vom Rest der Kolleg*innen entfernt.“

Die Entwicklung der letzten 10 Jahre, in denen dank WissHom und dem Homoepathy Research Institut (HRI) wissenschaftliche Studien unterstützt und veröffentlicht wurden, wurden vom Deutschen Ärztetag  nicht wahrgenommen. Das Vorurteil ´es gäbe keine Studien` wird gebetsmühlenartig wiederholt, oder es werden diese Studien nicht mit dem gleichen Maß, wie andere Studien in der Medizin beurteilt und verurteilt: Weil nicht sein darf, was nicht sein kann.

Dr. de Laporte sieht in der Zusatzbezeichnung Homöopathie ein wichtiges Element der zuhörenden Medizin. „Die Streichung ohne Alternative reißt eine deutliche Lücke in die Versorgung von Menschen mit komplexen Beschwerden. Patienten werden sich vermehrt weniger qualifizierten Behandlern zuwenden.“

Nachdem das Pendel in den letzten Jahren stark in Richtung studienorientierter Medizin ausgeschlagen hat und der individuelle Patient etwas aus dem Fokus etwas geraten ist, freut sich Dr. de Laporte, dass sich jetzt über die LiMED (Liste Integrative Medizin) die Erfahrungsheilkunde in die ärztlichen Gremien einbringen wird. „Somit kann beigetragen werden, die “evidence based medicine” mit ihren 3 Säulen Studien/ Erfahrung /Patientenwunsch wieder aus der Schieflage der  Überbewertung von Studienwissen in der Primärmedizin herauszukommen!“

2022-07-14T16:53:39+02:00

DZVhÄ kommentiert: Weiterbildung ohne Homöopathie?

Kommentar des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) zum Aus der Homöopathie in der Musterweiterbildungsordnung

Während am 26. Mai der Deutsche Ärztekongress für Homöopathie in Münster unter dem Motto Homöopathie wissenschaftlich-ökologisch-nachhaltig eröffnet wurde, stellten ein paar Kolleginnen beim Deutschen Ärztetag einen Antrag zur Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der gerade erst verabschiedeten Musterweiterbildungsordnung (MWBO), der nach kurzer Diskussion mit großer Mehrheit angenommen wurde.

Man kann nach der Motivation dieser Kolleginnen fragen: Gibt es so wenig andere Probleme im deutschen Gesundheitssystem? Ist diese ja nur in vier Landesärztekammern übernommene Zusatzbezeichnung ihnen solch ein Dorn im Auge? Warum nur?

Ganz sicher ist das vorgebrachte Argument der fehlenden Wissenschaftlichkeit erneut ein vorgeschobenes und fadenscheiniges. Ganz sicher haben sich diese Kolleginnen im Vorfeld nicht mit dem aktuellen wissenschaftlichen Stand auseinandergesetzt. Sonst hätten sie festgestellt, dass es Daten gibt, die sie mindestens zum Innehalten und Überdenken ihrer Position gebracht hätten. Sie hätten den kollegialen Austausch suchen können, um sich ein fundiertes Bild zu machen. Im anderen Fall hätten sie – wenn sie ehrlich wären – einen Parforceritt durch die MWBO machen und noch x weitere Zusatzbezeichnungen streichen müssen. Haben sie aber nicht. Sie haben sich vor den Karren einer Meinungsmache spannen lassen. Und nebenbei sind sie ihrer Aufgabe, die Interessen ihrer ärztlichen Kolleginnen zu vertreten, nicht nachgekommen.

Ganz sicher haben sie überdies den Patientinnen einen Bärendienst erwiesen: Die Ärztekammern geben die Sicherung einer qualifizierten ärztlichen Versorgung mit Homöopathie ab. Interessierten Patientinnen (und Kolleginnen!)  wird die Orientierung zu qualifizierten Ansprechpartnern erschwert. Sie ignorieren den von der Mehrheit der Patientinnen gewünschten integrativen Ansatz unter Einbeziehung der Homöopathie.

Was folgt? Eine fundierte Weiterbildung, qualifizierte Fortbildungen, das Aufrechterhalten von Standards zur Therapiesicherheit, die Laien und Kolleginnen, Patientinnen und anderen therapeutischen Berufsgruppen, sowie Kostenträgern Orientierung geben, liegen damit allein beim DZVhÄ.

Lassen Sie uns hier (noch) besser werden, lassen Sie uns den integrativen Ansatz leben, lassen Sie uns auf die Kolleginnen (transdisziplinär und transprofessionell) zugehen und unverdrossen den Dialog suchen. Nehmen wir diese Aufgabe ernst, die Homöopathie ist es wert!

Dr. med. Alexandra Schulze-Rohr, DZVhÄ-Vorstand Weiterbildung

2022-07-14T16:53:32+02:00
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